Schweinehunde / Roman
bildeten sich auf seiner Stirn und an der Wurzel seiner noch heilen Nase. Poul Troulsens Blick fiel auf eine Schere, die auf dem Schreibtisch lag, und für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, dieser Witzfigur eine Locke abzuschneiden und sie zu zwingen, sie zu essen. Dann gewann die Vernunft die Oberhand, und er begnügte sich damit, dem Mann einen leichten Klaps auf den Hinterkopf zu geben.
»Bevor ich gehe, möchte ich Sie noch kurz darüber informieren, was passiert, wenn man die Polizei verklagt. Sie müssen auf der nächsten Polizeiwache eine Anzeige machen und werden dann … schwuppdiwupp schon nach wenigen Jahren ein Schreiben erhalten, dass das Verfahren eingestellt worden ist.«
Während er sprach, bewegte er sich langsam in Richtung Tür. Zum Abschied nickte er lächelnd, zufrieden damit, dass er sein Temperament einigermaßen im Zaum gehalten hatte.
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D ie Episode im Rathaus von Gentofte hatte Poul Troulsen die Laune nicht verdorben. Bis jetzt war er äußerst zufrieden mit der bisherigen Entwicklung des Tages. Jetzt fehlte nur noch, dass die Frau in Rot sich als kooperationswillig erwies, was ihr kurzes Telefonat in höchstem Grade vermuten ließ. Und natürlich, dass sie etwas zu berichten hatte, was die Ermittlungen weiterbrachte. Möglichst gleich einen großen Schritt, denn sie brauchten ein Erfolgserlebnis.
Emilie Mosberg Floyd war eine mittelgroße, hübsche Frau Anfang dreißig. Sie war wohlproportioniert und schlank, hatte ein lebendiges, attraktives Gesicht und trug modische, teure Kleider. Ihr Satinrock schimmerte orangerot, die kurzärmelige Baumwollbluse war in den gleichen Farbtönen gehalten, und die kurze Jacke aus grob gewebter Wolle hatte ein stilisiertes, orange-lila Tulpenmuster. Ihre festen, schwarzen Schuhe wären auch für eine Wanderung geeignet gewesen.
Sie empfing ihn in der Tür ihres großen Steinhauses und führte ihn in die Küche, wo sie ihm Kaffee anbot. Nachdem sie die einleitenden Höflichkeiten schnell hinter sich gebracht hatten, ergriff die Frau das Wort: »Sie wollen etwas über Helene und Per Clausen wissen, nicht wahr? Sie müssen entschuldigen, dass ich so schnell zur Sache komme, aber ich habe nur eine gute halbe Stunde Zeit, dann muss ich zur Arbeit.«
Sie lächelte ein bezauberndes Lächeln. Ihre Zähne waren regelmäßig, und ihre grünen Augen leuchteten hellwach. Auch die Art, wie sie sich ausdrückte, hatte einen aufreizenden Charme.
»Ja, das ist richtig, Sie kannten beide?«
»Ja, allerdings in erster Linie Per. Zu Helene hatte ich nur eine oberflächliche Beziehung, sie war die Freundin meiner kleinen Schwester. Die beiden gingen in dieselbe Klasse, aber das wissen Sie ja sicher.«
Die Antwort überraschte ihn. Ihre Worte waren vielversprechend. Poul Troulsen interessierte sich deutlich mehr für den Vater als für die Tochter, und er verspürte eine gewisse Spannung. Trotzdem zwang er sich, methodisch vorzugehen.
»Vielleicht können Sie mir erst kurz etwas über sich sagen?«
Sie nickte verständnisvoll.
»Das klingt vernünftig. Also, ich bin hier in Gentofte geboren und aufgewachsen. 1992 habe ich mein Medizinstudium aufgenommen. Im Jahr darauf hatten meine Schwester und ich einen Unfall mit dem Auto meines Vaters, ich war angetrunken und bin am Steuer eingeschlafen. Das war in den Sommerferien. Wir waren beide schwer verletzt, und die Genesung dauerte lange. Aber die psychischen Nachwirkungen waren am schlimmsten. Als ich mein Studium wiederaufnahm, war ich noch nicht wieder richtig gesund, ich litt unter Konzentrationsschwäche und unkontrollierten Weinkrämpfen. Eines Tages wurde ich von einem Psychiater aufgesucht, er hieß Jeremy Floyd und war Oberarzt am Institut für Psychosoziale Medizin und Sexualwissenschaften am Rigshospital. Auch wenn meine Probleme nicht seinem Spezialgebiet entsprachen, hatte er einem meiner Professoren versprochen, sich einmal eine Viertelstunde mit mir zu unterhalten, in erster Linie, um mich dazu zu bringen, dass ich mir professionelle Hilfe suche. Vier Monate später waren wir verheiratet, und was soll ich sagen? Das änderte mein Leben. Ich brachte unsere beiden Söhne zur Welt, zog sie mit dem Fläschchen groß und studierte gleichzeitig. Ein paar Jahre arbeitete ich nebenher. 2001 war ich mit dem Studium fertig, und seitdem arbeite ich im Rigshospital, zur Zeit mache ich eine Weiterbildung zur Herzchirurgin. Im letzten Jahr ist Jeremy bei einem Unfall gestorben. Neben seiner Familie und
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