Schweinehunde / Roman
begrüßten einander höflich. Ihre Stimme war trocken wie Talkum, und sie sprach ohne Betonung, als sie wie selbstverständlich seine geheimen Wünsche aussprach.
»Ich spüre ein kräftiges Verlangen nach Fischfilets.«
Er wusste aus Erfahrung, dass sie ihn aufzog. Manchmal nutzte sie ihre ganz speziellen Fähigkeiten, um seine vernunftbetonte Welt ins Wanken zu bringen. Einfach so zum Spaß.
»Gedanken machen nicht satt. Es geht hier entlang.«
Konrad Simonsen war eine rationale Natur. Er glaubte weder an den Klabautermann noch an die Kraft von Kristallen oder sich kreuzenden Erdstrahlen, und sein Balkonkasten musste den Winter ohne Eisen gegen Trolle überstehen. Dass er trotzdem die Talente der kleinen Frau in sein rechtwinkliges Universum einbaute, war der Tatsache zu verdanken, dass sie immer wieder präzise, korrekte und wesentliche Hinweise lieferte, die meilenweit über dem lagen, was man mit Mutmaßungen und Rätselraten hätte erklären können. Hin und wieder irrte sie sich auch, und manchmal konnte sie ihm gar nichts bieten. Wie sie ihre Informationen aufschnappte, versuchte er gar nicht mehr zu verstehen.
Normalerweise trafen sie sich bei ihr zu Hause in Høje-Taastrup, wo sie mit ihrem Mann ein lukratives, diskretes Beratungsbüro führte. Ihr Mann nannte sich Stephan Stimme und verbreitete zu Reklamezwecken seltsame Geschichten über das Internet. In regelmäßigen Abständen erhielt Konrad per E-Mail Tonmitschnitte von ihm, die er normalerweise ungehört löschte.
Wenn er die Frau besuchte, brachte er in der Regel einen Gegenstand oder irgendetwas anderes mit, das mit dem Fall zu tun hatte, für den er sich ihre Unterstützung erbat. Das war entscheidend. Wie ein Suchhund brauchte sie Material, um einen Ansatzpunkt zu haben, doch in dem aktuellen Fall konnte er ihr keine konkreten Dinge liefern. Sie hatten deshalb abgesprochen, dass sie ersatzweise den Tatort besichtigen durfte, und es war nun abzuwarten, ob ihre Geister sich einfinden würden.
Sie fanden sich nicht nur ein, sondern schienen bereits Schlange zu stehen, um sich auf sie zu stürzen.
Kaum eine Sekunde nachdem sie die Turnhalle betreten hatte, streckte sie prüfend die Hand nach vorn aus und sah wechselweise an die Decke und auf den Boden, als regnete es in der Halle. Beim Anblick des Bodens verzog sich ihr Gesicht.
»Ein Mann wurde von seinem eigenen Sohn kastriert. Auf dem Boden sind Blutstropfen.«
Plötzlich sprang sie zurück und wäre fast in Konrad Simonsen gelaufen.
»Ich danke dir. Was sind das für Leute?«
Mit einem Mal war sie vollkommen entrückt. Sie starrte bestürzt durch die Halle und presste sich schweigend die Hände gegen den Kopf. Zwischendurch stieß sie kurze verneinende Rufe aus, und ihre Gebärden und Mimik gaben eine höchst unangenehme Szenerie wider. Die Bilder schienen eine ganze Weile anzudauern. Manchmal hielt sie sich die Augen zu, andere Male die Ohren, dann faltete sie wieder die Hände und legte die Fingerspitzen ans Kinn, als lauschte oder betete sie. Einmal wandte sie sich voller Abscheu ab.
Plötzlich hielt sie inne und starrte leer vor sich hin.
Konrad Simonsen war gespannt, verhielt sich aber ruhig, obgleich es ihm so vorkam, als würde sie schon eine Ewigkeit so dastehen, ohne ihr Wissen mit ihm zu teilen. Die Initiative musste von ihr ausgehen.
Die Rückmeldung, die er schließlich erhielt, war ebenso überraschend wie enttäuschend. Dass sie überdies ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entsprach, machte ihn machtlos: Die Schattenwelt konnte er nicht verhören.
»Tut mir leid, mehr empfange ich nicht. Und ich würde gerne wieder nach Hause fahren.«
[home]
12
D as Gesicht war fleischig und blass mit stechenden Augen, so dass der kleine, mädchenhafte Mund darin wie aufgemalt erschien. Der Blick war nach unten gerichtet und das Gesicht in Falten gezogen, wie viele Menschen es tun, wenn sie eine schwere Entscheidung zu treffen haben. Wie das mürrische Gesicht eines Fisches.
Der Kopf füllte zwei Drittel des Bildes und die Kopfstütze mit den dänischen Flaggen auf dem Bezug den Rest.
Einen Augenblick lang geschah nichts, dann entfaltete sich das Gesicht zu einem abgeklärten Lächeln, während die Zungenspitze die roten Lippen ein paarmal befeuchtete. Ein stummer Satz wurde gesagt, woraufhin der Filmausschnitt stoppte und das Gesicht des Mannes zu einer wenig charmanten Grimasse gefror.
Anni Staal – die
Dagbladet
-Journalistin, die Konrad Simonsen am liebsten aus dem
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