Schweinsgalopp
Streifen von ihrem Unterrock abriß, um die schlimmsten Wunden zu verbinden.
Fähigkeit und Kompetenz, sagte der kleine Teil ihres Selbst. Auch dann einen kühlen Kopf bewahren, wenn es drunter und drüber geht.
Zumindest ein kühles Etwas.
Vermutlich ist es ein Charakterfehler.
Der Mann war tätowiert. Blaue Kringel und Spiralen liefen über seine Haut, unter dem Blut.
Er öffnete die Augen und blickte zum Himmel.
»Kannst du aufstehen?«
Er sah Susanne an, wollte sich aufrichten… und sank wieder in den Schnee.
Sie half ihm, sich aufzusetzen. Er schwankte, als sie einen Arm um seine Schulter schlang, und ihn auf die Beine zog. Susanne gab sich alle Mühe, den Gestank zu ignorieren, der fast massiv wirkte.
Über den Hang, abwärts – das schien am besten zu sein. Susannes Gehirn funktionierte noch immer nicht richtig und überließ die Entscheidung ihren Füßen.
Gemeinsam stapften sie durch den kalten Wald. Der Schnee glänzte orange im Licht der Morgensonne. Frostige blaue Dunkelheit stand in Mulden, die wie kleine Kelche des Winters anmuteten.
Der Mann neben Susanne röchelte. Er löste sich von ihr, sank auf die Knie, griff sich an die Kehle und schnappte nach Luft. Sein Atem klang wie eine Säge.
»Was ist denn jetzt? Was ist los? Was ist los?«
Er rollte mit den Augen und tastete erneut nach seiner Kehle.
»Steckt etwas in deinem Hals?« Sie schlug ihm so hart wie möglich auf den Rücken, und der Mann sank noch tiefer, stützte sich mit den Händen im Schnee ab und rang nach Luft.
Susanne schob die Hände unter seine Schultern, zog ihn hoch und schlang ihre Arme um seine Brust. Bei den Göttern, wie war das noch, in der Schule hatten sie es doch geübt: eine Faust ballen, die andere Hand darum schließen, dann nach oben ziehen, und drücken und…
Der Mann hustete; etwas prallte vom nächsten Baum ab und blieb im Schnee liegen.
Sie sah genauer hin…
… und erkannte eine kleine schwarze Bohne.
Ein Vogel zwitscherte hoch oben auf einem Zweig. Susanne blickte auf. Ein Zaunkönig flatterte zum nächsten Ast.
Als sie wieder zu dem Mann sah, hatte der sich verändert. Er trug jetzt Kleidung aus dickem Pelz, außerdem eine Pelzmütze und pelzbesetzte Stiefel. Er stützte sich auf einen Speer mit steinerner Spitze und wirkte wesentlich kräftiger.
Etwas lief durch den Wald, nur als huschende Schatten sichtbar. Für einen Sekundenbruchteil sah Susanne einen weißen Hasen. Er schlug einen Haken und schien dadurch einfach zu verschwinden.
Als ihr Blick zu dem Mann zurückkehrte, bemerkte sie eine weitere Veränderung. Die Pelzkleidung war fort, und er schien älter zu sein, doch seine Augen waren genauso beschaffen wie vorher. Er trug jetzt eine dicke weiße Kutte und wirkte dadurch fast wie ein Priester.
Wieder zwitscherte ein Vogel, aber diesmal ließ sich Susanne nicht davon ablenken. Bisher hatte sie angenommen, daß sich der Mann auf die gleiche Weise veränderte wie ein Buch, wenn man umblätterte. Doch das war ein Irrtum. Alle Bilder existierten gleichzeitig, und weitere kamen hinzu. Was man sah, hing von der jeweiligen Perspektive ab.
Zum Glück bin ich ganz ruhig und an solche Dinge gewöhnt, dachte Tods Enkelin. Andernfalls würde ich mir jetzt Sorgen machen…
Kurz darauf erreichten sie den Rand des Waldes.
Nicht weit entfernt dampften vier große Eber vor einem Schlitten, der aus grob behauenen Baumstämmen zu bestehen schien. In dem dunklen Holz zeigten sich Gesichter, vielleicht von Steinen eingeritzt, vielleicht von Regen und Wind eingegraben.
Der Schneevater kletterte an Bord und setzte sich. Während der letzten Meter hatte er zugenommen, und jetzt war es fast unmöglich, etwas anderes zu sehen als den großen, in einen rot-weißen Mantel gehüllten Mann. Eiskristalle glitzerten hier und dort an seiner Kleidung. Nur das gelegentliche Funkeln von Rauhreif wies auf Borsten und Hauer hin.
Er wandte sich ein wenig zur Seite, griff nach unten, holte einen falschen Bart hervor und hob ihn fragend hoch.
ENTSCHULDIGUNG, erklang eine Stimme hinter Susanne. DER GEHÖRT MIR.
Der Schneevater nickte Tod zu wie ein Künstler einem anderen. Dann sah er Susanne an. Sie wußte nicht genau, ob er ihr dankte – es war mehr eine Geste der Anerkennung, eine Bestätigung, daß sie etwas Notwendiges vollbracht hatte. Nein, mit Dank hat das nichts zu tun, dachte sie.
Dann schüttelte er die Zügel und schnalzte mit der Zunge. Der Schlitten setzte sich in Bewegung.
Susanne blickte ihm
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