Schwemmholz
sich bitter darüber beklagt, er habe für jeden städtischen Auftrag Geld über den Tisch schieben müssen. Schließlich kehrte die Kamera ins Studio zurück, wo der Moderator von einem Nachspiel raunte, das es zu einer Rom-Visite baden-württembergischer Wirtschaftsführer gegeben habe.
Das Telefon läutete. Berndorf nahm ab und meldete sich, nachdem er den Ton des Fernsehers leise gestellt hatte. Es war Barbara. Berndorf richtete sich auf.
»Wie klingst du?«, fragte Barbara.
»Erleichtert. Glücklich«, antwortete Berndorf. »Du bist heute der erste Mensch, dessen Stimme mir nicht mürrisch, nörgelnd oder einfach nur dumm in den Ohren klingt.«
Auf dem Bildschirm erschien das von einem Bart eingerahmte Gesicht des Wirtschaftsministers, tonlos bewegten sich seine Lippen, stumm und empört wie das Maul eines Goldfisches.
Ein leichtes Tappen klang durch die Dunkelheit. Es war das Geräusch des sich öffnenden Garagentors. Dann hörte sie den BMW. So früh, dachte Marie-Luise. Dabei wusste sie nicht einmal, wie viel Uhr es war. Warum kam er überhaupt? Hatte die kleine Assistentin ihre Tage?
Die Tür zum Atrium öffnete sich, Licht flammte auf. Marie-Luise hielt sich die Hand vor die Augen.
»Entschuldige«, sagte Welf und dimmte das Licht. Er klang ärgerlich und angespannt. »Du hast wieder einen schlimmen Tag gehabt.«
Wieder, dachte sie. Es nervt ihn nur. »Es ging«, antwortete sie gleichgültig. »Georgie war sehr lieb und tapfer. Und er hat eine neue Brille.« Dann stand sie aus ihrem Korbsessel auf. »Du willst sicher etwas zum Essen.«
Zusammen gingen sie in die Küche. Sie holte Käse und Aufschnitt aus dem Kühlschrank, Welf öffnete sich ein Bier.
»Übrigens hat deine Mutter angerufen.« Marie-Luise stand vor der Anrichte und wandte ihm den Rücken zu. Sie hielt sich schlecht, und ihre Schultern hingen herab.
»Sie wollte dir gratulieren. Sie sagte, sie sei im Rathaus dabei gewesen.«
»Ich hätte sie umbringen können«, sagte Welf. »Aber so ist sie nun einmal.«
»Außerdem hatte sie einen anthroposophischen Augenarzt
ausfindig gemacht«, fuhr Marie-Luise fort. »Einen in Traunstein. Jetzt ist sie eingeschnappt, weil ich bei dem Reutlinger Arzt war.«
Welf trank das Glas aus und wischte sich den Schaum vom Mund ab. »Vergiss es. Was die anderen tun, genügt nie. Ist nie das Richtige. Und immer weiß sie es besser.«
Marie-Luise drehte sich um und stellte ihm wortlos eine kleine Platte mit belegten Broten auf den Tisch. Dann lehnte sie sich gegen die Anrichte. »Und du hast also deinen großen Auftritt gehabt?«
»Ich weiß es nicht so recht«, sagte Welf. »Im Rathaus lief es ganz gut. Ich denke, sie werden die Halle bauen.«
»Und du kriegst den Auftrag?«
Welf zögerte. »Unser Angebot steht«, sagte er schließlich. »Ob sie es annehmen, müssen die im Rathaus wissen.«
Marie-Luise betrachtete ihn forschend. »Dir ist klar, dass solche Sachen noch niemals an Gföllner vorbeigelaufen sind? Vater hat immer einen großen Bogen um ihn gemacht.«
»Ich weiß.« Welf schenkte sich wieder ein. »Aber inzwischen haben wir eine neue Zeit. Wir brauchen neue Ideen. Neue Konzepte. Gföllner hat die nicht. Wir haben sie.«
»Freut mich für dich«, sagte Marie-Luise.
Mittwoch, 14. April
Es gibt Dinge, die niemand vorhersehen kann. An diesem Morgen hatte das Tiefbauamt die Baustelle in der Syrlinstraße wieder aufgehoben, sodass Kugler bereits einige Minuten vor neun Uhr im Justizgebäude war. Vor dem Schwurgerichtssaal wartete die knappe Hand voll Rentner und Arbeitslose, die das Stammpublikum der Ulmer Justiz bilden, Kugler schüttelte einem schwergewichtigen Mann die Hand.
»Sie krieget die Kerle heut frei«, sagte der Mann schnaufend.
»Den Überblick hent Sie«, antwortete Kugler. Das Schwergewicht,
ein Fernfahrer in der Frührente, hatte seit Jahren keinen der großen Prozesse in Ulm oder Stuttgart ausgelassen.
Der Anwalt ging zu seinem Platz und holte das »Tagblatt« aus der Aktentasche. Kosovo-Krise, Der Westen im Zugzwang, Streit um die Gesundheitsreform, beim Neubau ausgerechnet eines Arbeitsamtes hatte die Baufirma Schwarzarbeiter aus Weißrussland beschäftigt, in Stuttgart war einer der baden-württembergischen Landesminister ins Gerede gekommen, weil er die Spende für eine Papst-Audienz schwäbischer Wirtschaftsbosse von eben jenem landeseigenen Unternehmen hatte bezahlen lassen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er war.
Kugler stellte sich das Gesicht vor, das der
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