Schwer verliebt: Roman (German Edition)
mittlerweile, dass es immer ein Aber gibt.«
Er legt erneut seinen Löffel hin. Dann holt er tief Luft.
»Gut«, sagt er. »Es gibt tatsächlich ein Aber.«
Und dann erzählt er es mir.
8
»Morning Song«
Von Heather Wells
Am nächsten Tag komme ich eine Viertelstunde zu spät zur Arbeit. Ich persönlich finde ja eine Viertelstunde nicht besonders lang. Fünfzehn Minuten sollten eigentlich nicht als Verspätung gelten, vor allem, wenn man bedenkt, was mir am Abend zuvor passiert ist – Sie wissen schon, die Rückkehr des verlorenen Vaters.
Im Lebenszyklus eines Studentenwohnheims können fünfzehn Minuten jedoch ziemlich lang sein. Sie reichen zum Beispiel für eine Vertreterin des Beratungsdienstes aus, meinen Schreibtisch zu finden und sich dort breitzumachen.
Als ich atemlos ins Büro stürme, sie dort sehe und rufe: »Kann ich etwas für Sie tun?«, hat sie sich in dieser Viertelstunde schon so weit eingerichtet, dass sie erwidert: »Oh, nein danke. Aber wenn Sie Kaffee holen, nehme ich auch einen, mit Milch, ohne Zucker.«
Ich blinzele verwirrt. Sie trägt ein geschmackvolles graues Kaschmir-Twinset, natürlich mit Perlenkette, und lässt mich in Jeans und weitem Wollpullover ziemlich alt aussehen. Ihre Haare sind noch nicht einmal von der Mütze zerdrückt, sondern zu einem perfekten Chignon geschlungen. Wie hat sie es nur durch den Park, oder wie wir in der letzten Zeit dazu sagen, die Gefrorene Tundra, vom Beratungsdienst hierher geschafft, ohne sich den Kopf abzufrieren?
Dann erspähe ich sie. Sie stecken in dem schwarzen Wolltrenchcoat, den sie an die Garderobe an meinen Haken gehängt hat. Ohrenschützer. Ja, natürlich.
Raffiniert!
»Oh, Heather, da bist du ja«, sagt Tom, der gerade aus seinem Büro kommt. Er sieht heute viel besser aus als gestern, nachdem er eine Nacht lang geschlafen und sich heute früh die blonden Haare gewaschen und gestylt hat. Er hat sich sogar eine Krawatte umgebunden.
Na ja, gut, dazu trägt er ein hellrosa Hemd und Jeans, aber es ist immerhin schon mal eine Verbesserung.
»Das ist Dr. Gillian Kilgore vom Beratungsdienst«, fährt er fort. »Sie bietet für die Studenten, die sie angesichts der gestrigen Ereignisse in Anspruch nehmen möchten, Trauerbewältigung an.«
Ich schenke Dr. Kilgore ein Lächeln. Was soll ich auch sonst tun? Sie anspucken?
»Hi«, sage ich. »Sie sitzen auf meinem Platz.«
»Oh.« Tom scheint jetzt erst zu bemerken, wo Dr. Kilgore sich niedergelassen hat. »Das stimmt. Das ist Heathers Schreibtisch, Dr. Kilgore. Ich hatte für Sie den Schreibtisch der studentischen Hilfskraft vorgesehen.«
»Mir gefällt dieser Schreibtisch besser.« Dr. Kilgore verblüfft uns beide, bei Tom sehe ich es daran, dass er im Gesicht so rosa anläuft wie sein Hemd, indem sie gelassen antwortet: »Und wenn die Studenten zu mir kommen, dann setze ich mich natürlich mit ihnen in Ihr Büro, Mr Snelling, damit die Privatsphäre gewährleistet ist.«
Das scheint Tom neu zu sein. Er stammelt gerade eine Erwiderung, als Gillian Kilgores erstes Opfer, ich meine natürlich, der erste Termin, ins Büro geschlurft kommt. Mark Shepelsky ist der eins achtundachtzig große Stürmer der Stiefmütterchen und bewohnt zur Zeit Zimmer 212, eins der gefragtesten Doppelzimmer im gesamten Gebäude wegen seines Ausblicks auf den Park und der Tatsache, dass man es über die Treppe erreichen kann, da es sich im ersten Stock befindet. Das ist ein großer Vorteil, da die Aufzüge meistens überfüllt und häufig auch kaputt sind.
»Jemand wollte mich sehen?«, grunzt Mark. Er ist ein dünner, blasser Junge, der ganz gut aussieht.
Barista Boy kann er allerdings nicht das Wasser reichen, wenn Sie mich fragen.
Allerdings kann ich Barista Boy auch nicht mehr leiden.
»Sie sind sicher …«, Dr. Kilgore blickt auf ihren Terminkalender, der aufgeschlagen auf ihrem, nein, natürlich auf meinem Schreibtisch liegt. »Mark?«
Mark tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ja. Worum geht es?«
»Nun, Mark«, sagt Dr. Kilgore und setzt eine Lesebrille
auf. Wahrscheinlich will sie damit empathisch wirken, es funktioniert aber nicht. »Ich bin Dr. Kilgore vom Studentenberatungsdienst. Sie waren eng befreundet mit Lindsay? Lindsay Combs?«
Mark bricht nicht gerade in Tränen aus, als er den Namen seiner Geliebten hört. Im Gegenteil, er wirkt empört.
»Müssen wir darüber reden?«, will er wissen. »Die Bullen haben mich gestern schon den ganzen Tag ausgequetscht. Ich habe
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