Schwere Wetter
F-6 ist nicht bloß irgendein Zacken. Ich stelle ihn mir immer mehr vor wie… wie eine ganz andere Art von Sturm, wie etwas noch nie Dagewesenes. Wir werden mit etwas zu tun haben, das ich noch überhaupt nicht begreife. Die Trouper sind gute Leute. Sie vertrauen meinem Urteil, und deswegen könnten sie umkommen. Das wäre nicht richtig.«
»Jerry, wir Trouper sind wie Soldaten, wir brauchen keine besonderen Rechte. Außerdem würden wir auch ohne dich Zacken jagen. Wenn du meinst, ich täte dir damit einen Gefallen, dann irrst du dich. Der F-6 ist der große Knaller, der absolute Höhepunkt. Und den will ich haben.« Sie hob die Müslitüte hoch. »Ich kann April Logan bitten, hierherzukommen.«
»Deine Design-Professorin? Warum das?«
»April hat den akademischen Betrieb längst hinter sich gelassen, die ist jetzt eine megagroße Netzkritikerin! Die hat wirklich Einfluß! Sie ist meine beste Freundin im Netz. Wenn April Logan das Gerücht ausstreut, hier würde in nächster Zeit eine heiße Vorstellung stattfinden, könnten wir ein paar richtig große Postproduzenten herlocken. Leute, die unsere Daten übernehmen und sie einmal richtig aufbereiten. Dann bekämen wir ein größeres Publikum.«
»Mehr Geld, meinst du wohl.«
»Stimmt, Jerry. Geld. Haufenweise Geld.« Sie zuckte die Achseln. »Na ja, jedenfalls dessen Netzäquivalent. Aufmerksamkeit, Zugang. Ruhm. Ich könnte Geld draus machen. Leicht wär's nicht, aber möglich schon.«
»Ich verstehe.«
»Gut. Und hör auf, den edlen Ritter zu spielen, der die kleine Jane vor dem großen, bösen Sturm beschützen will.«
»In Ordnung«, sagte er. »Ist gut, Jane. Du hast deine Sache immer gut gemacht, und im Grunde habe ich auch nichts anderes von dir erwartet. Aber was wird nach dem Sturm?«
»Wie meinst du das?«
»Das ist die andere Möglichkeit, die mir Sorgen macht. Nehmen wir mal an, daß wir den F-6 überleben. Daß wir ihn richtig packen. Daß wir ihn festnageln und jede Menge Geld und Ruhm scheffeln und alles hinter uns lassen. Was machen wir dann? Was wird dann aus uns? Aus dir und mir?«
Es überraschte und erschreckte sie, Jerry so reden zu hören. »Also, da braucht sich gar nichts zu ändern, Schatz! Es ist doch nicht so, als ob ich noch nie Geld gehabt hätte! Ich kann mit Geld umgehen, das weißt du doch! Das ist kein Problem für uns! Wir machen erst mal Urlaub, wie jedesmal, wenn die Saison vorbei ist. Und wir rüsten unsere Hardware auf, diesmal richtig gründlich. Du kannst eine Veröffentlichung schreiben, und ich werd alle Hände voll im Netz zu tun haben… Dann warten wir auf die nächste Saison.«
»Es wird keine nächste F-6-Saison geben. Selbst wenn der CO2-Gehalt sinken sollte, bedeutet das nicht, daß sich das Wetter beruhigen wird. Während des Ausnahmezustands war der CO2-Gehalt der Luft niedriger als heute! Außerdem ist das CO2 bloß ein Aspekt des Klimaproblems. Dann ist da noch die Abholzung des tropischen Regenwaldes und die verzögerte Erwärmung der Meere.«
Jerry schwieg.
»Vergiß nicht die thermische Umweltverschmutzung der Städte. Und die Veränderungen der Meeresströmungen im Nordatlantik. Den Gletscherschwund in der Antarktis und die höheren Albedos in Afrika, die CKWs in der Ozonschicht, das permanente Problem des ENSO-Zyklus und die Schwankungen der Sonneneinstrahlung… Mein Gott, ich krieg nicht mal alles zusammen. Jerry, das Wetter wird sich nie und nimmer beruhigen und normalisieren. Jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten. Wahrscheinlich in dreihundert Jahren nicht. Wir werden so viele Zacken haben, wie wir uns nur wünschen! Wir beide, wir sind Katastrophenexperten mit einem unerschöpflichen Vorrat an Katastrophen! Und wenn du den F-6 festnagelst, während die Regierungsbeamten auf ihrem Arsch hocken und meinen, einen F-6 könne es gar nicht geben, dann wirst du ein für allemal berühmt!«
»Jane, ich sage den F-6 jetzt seit zehn Jahren voraus. Ich jage nicht bloß irgendwelche Zacken, das kann jeder. Zacken sind nicht genug. Es gibt Tausende von Zacken und Tausende von Wetterleuten, aber ich bin da anders, und der Grund dafür ist der F-6. Ich bin besessen davon, ich bin so fasziniert davon und versessen auf dieses furchtbare Ding, daß ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie ich anschließend weiterleben soll. Wir haben diese Krise herbeigesehnt und sind hervorragend dafür gerüstet, wir sind darauf vorbereitet, durch die Hölle zu gehen, um dieses Ding festzunageln. Aber was wird
Weitere Kostenlose Bücher