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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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nicht mehr unbeschäftigt. Ihr Teufel arbeitete die ganze Zeit über unter Volldampf.
    Daher ging es ihr und ihrem Teufel jetzt richtig gut.
    Es war so, als ob die verrückten Dinge, die sie tat, und die Risiken, die sie einging, sie von jeglicher Verpflichtung, tatsächlich verrückt zu werden, befreit hätten. Es mochte reichlich schwülstig klingen, aber es war wirklich wahr: Jerry hatte eine freie Frau aus ihr gemacht. Die meiste Zeit über war sie verdreckt, fühlte sich zerschlagen und stank, aber sie war frei und verliebt. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie sich heftig und vergeblich bemüht, sich zu mäßigen und vernünftig, gut und glücklich zu sein; und dann hatte sie Jerry Mulcahey kennengelernt und hatte den Kampf aufgegeben. Und als sich der ganze alte Stacheldrahtverhau in ihrem Innern plötzlich gelockert hatte, hatte sie erstaunliche Reservoirs an Anstand und gutem Willen in sich entdeckt. Sie war nicht einmal halb so schlecht, wie sie immer geglaubt hatte. Sie war nicht verrückt, sie war nicht böse, sie war nicht einmal sonderlich gefährlich. Sie war eine reife, erwachsene Frau, die keine Angst vor sich hatte, und sie konnte anderen Menschen sogar eine wahre Stütze sein. Sie konnte anderen Menschen etwas geben und sich für sie aufopfern, sie konnte lieben und geliebt werden, ohne Angst und ohne schnöde Berechnung. Und all dies war ihr bewußt, und sie war dankbar dafür.
    Es war ihr bloß zuwider, darüber zu reden.
    Jerry ging es genauso. Jerry Mulcahey war anders als andere Männer. Nicht, daß das sein besonderes Verdienst gewesen wäre; Jerry war einfach anders als die meisten Menschen. Jane war eine intelligente Person, und sie wußte, was es hieß, intelligenter als andere Menschen zu sein; so intelligent, daß man sich manchmal deswegen unbeliebt machte. Sie wußte aber auch, daß sie nicht so intelligent wie Jerry war. Auf manchen Gebieten war Jerry so intelligent wie ein Wesen von einem anderen Stern. Andere große Bereiche seiner geistigen Aktivität waren wiederum so leer und heiß und leuchtend wie bei jemandem, der unter Drogen stand.
    Jane besaß keine große mathematische Begabung; wenn es um Mathematik ging, mußte sie auf dem Bauch kriechen, wie im Schlamm. Es hatte eine Weile gedauert, bis ihr klargeworden war, daß dieser seltsame Mann im westtexanischen Ödland mit seiner zusammengewürfelten Exzentrikertruppe in Wirklichkeit einer der begabtesten Mathematiker der Welt war.
    Jerrys Eltern hatten als Computerwissenschaftler in Los Alamos gearbeitet. Beide waren in ihrem Beruf gut gewesen; ihr Sohn Jerry hatte sich bereits im Alter von zwölf Jahren mit haarspalterischer Magnetohydrodynamik beschäftigt. Jerry war ein Pionier auf den Gebieten der multidimensionalen Mannigfaltigkeiten minimaler Oberfläche und der invarianten Polynome höherer Ordnung gewesen - alles Dinge, die einem schon beim bloßen Hinschauen den Kopf sprengten. Jerry war so gut in Mathe, daß es anderen Leuten Angst machte. Seine Kollegen konnten sich nicht entscheiden, ob sie ihn wegen seiner Begabung beneiden oder es ihm übelnehmen sollten, daß er nicht häufiger publizierte. Hin und wieder setzte Jane irgendein Netzidiot wegen Jerrys ›beruflicher Qualifikationen zu, worauf sie dem Skeptiker per Email die Schrift zusandte, mit der Jerry 2023 die Mulcahey-Mutmaßung bewiesen hatte, und dann versuchte der Skeptiker sie zu lesen, und es sprengte ihm den Schädel, und er verschwand still und leise in der Versenkung und ward nie wieder gesehen.
    Es sei denn, er gehörte zu den Möchtergernmathematikern. Die Truppe zog alle möglichen Möchtegerntypen an, und meistens waren sie ziemlich bekloppt, doch hin und wieder kreuzte ein schüchterner, schlaksiger Typ im Camp auf, der sich einen Scheißdreck aus Tornados machte und der Jerry dazu bewegen wollte, das alles zu vergessen und lieber zu beweisen, wie viele Seifenblasen im Hyperraum in einem kollabierenden Torus Platz hatten. Zu diesen Leuten war Jerry jedesmal furchtbar freundlich.
    Das Gewichtheben gehörte auch zu Jerrys Merkwürdigkeiten. Früher war er anders gewesen. Sie hatte Fotos von Jerry als Halbwüchsiger gesehen - seine Mutter hatte sie ihr geschickt -, auf denen Jerry rank und schlank gewesen war und ein wenig gebückt, wie alle großen Jungs, die sich ihrer Größe schämten. Viele Trooper beschäftigten sich mit Gewichtheben; auch Jane arbeitete mit Gewichten, genug, um stark zu werden, genug, um zu begreifen, worum es dabei

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