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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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eigentlich ging. Jerry hingegen beschäftigte sich damit, bloß weil es ihm Zeit sparte. Wie ein Kleiderschrank auszusehen, sparte ihm Zeit und Mühe, weil er so kurz aus dem Abgrund seiner Zerstreutheit auftauchen und jemanden anfahren konnte, worauf dieser Jemand alles fallenließ und sich beeilte, seine Anweisungen auszuführen. Weil er schiere physische Autorität ausstrahlte, brauchte Jerry sich keine Zeit für lange Erklärungen zu nehmen. Außerdem konnte er sich mit den Gewichten beschäftigen, wenn er ernsthaft nachdachte, und Jerry dachte täglich etwa fünf Stunden lang intensiv nach. Die Tatsache, daß er dabei dreißig Kilo Stahl an den Beinen mit sich herumschleppte, schien ihn nicht weiter zu beeindrucken.
    Es stand außer Frage, daß die Beziehungen zu anderen Menschen Jerrys großes Problem darstellten. Jerry hatte wirklich hart daran gearbeitet, mit soviel gewissenhafter Geduld und Hingabe und unter so schweren Leiden, daß ihm ihr Herz nur so entgegenflog, wenn sie daran dachte.
    Jerry fühlte sich nicht leicht in andere Menschen ein, weil er halt anders als sie war. Aber er konnte andere Menschen formen. Er vermochte ihre Persönlichkeitsstruktur abstrakt in sich aufzunehmen und sie als eine Art Simulation in seinem Kopf ablaufen zu lassen. Seine Beziehungen zu den anderen Troupern hatte er gestaltet wie ein Einarmiger, der Spielzeugkathedralen aus Zahnstochern baute.
    Und wenn er sich alles zurechtgelegt hatte, dann setzte er sich mit einem zusammen und erklärte einem genau, was man in Wirklichkeit dachte, was einen im Innersten antrieb, wie man das bekommen konnte, was man wirklich wollte, und wie das ihm und auch den anderen ganz nebenbei helfen würde. All dies legte er mit einer so verblüffenden Klarheit und dermaßen detailliert dar, daß das eigene Selbstbild im Vergleich dazu zerbröselte. Jerry hatte das alles erfunden, aufgrund genauer Beobachtung und Spekulation, doch es war einem um soviel ähnlicher als man selbst, daß man den Eindruck hatte, es sei realer als die eigene Identität. Es war, als stünde man seinem idealen Selbst gegenüber, seiner wahren Natur, die stimmiger, vernünftiger, viel besser gemanagt war. Man brauchte bloß zuzulassen, daß einem die Schuppen von den Augen fielen, und danach zu greifen.
    Jane hatte diesen Prozeß ein einziges Mal mitgemacht. Ein halbes Mal, um genau zu sein. Es war schwer, jemanden zu verführen, solange man in einem Papieroverall steckte. Wenn man den Reißverschluß bis zur Hüfte runterzog und sich spielerisch entblätterte, war das, als böte man einem Mann ein paar Kleiebrötchen aus einem Einkaufsbeutel an. Als er jedoch mit seinen Haarspaltereien anfing, war ihr klar gewesen, daß die einzige Möglichkeit, ihn davon abzubringen, darin bestand, ihn niederzuschlagen und sich rittlings auf ihn zu setzen.
    Und es hatte hervorragend geklappt. Es hatte Jerry zur großen Genugtuung aller Beteiligten den Mund gestopft. Jetzt konnten sie und Jerry sich offen über alle möglichen Dinge unterhalten; über Spione, Interfaces, Werkzeug, das Camp, über Cops, Ranger, andere Trouper, sogar über Geld. Sie sprachen jedoch nicht über ihre Beziehung. Diese Beziehung hatte nicht einmal einen Namen. Die Beziehung hatte ihre eigene Gestalt und ihr eigenes Leben und bestand nicht aus Zahnstochern.
    Aber jetzt hatte Jerry sich ihrem Wagen zugeteilt. Er tat niemals etwas ohne Grund. Früher oder später würde er die Katze aus dem Sack lassen. Der schmelzflüssige Kern ihrer Beziehung war abgekühlt, beide bedauerten sie das, und Jerry würde irgendeine rationale Analyse ausspucken. Sie hoffte das Beste.
    »Zum erstenmal fängt die ganze Sache an, mir Angst zu machen«, sagte er.
    Jane stellte die Müslitüte auf den Boden. »Was macht dir Angst, Schatz?«
    »Ich glaube, das schlimme Szenario nimmt allmählich Gestalt an.«
    »Was ist schlimm daran?«
    »Ich habe dir noch gar nicht gesagt, was es bedeuten würde, wenn das zu einer dauerhaften Einrichtung würde.«
    »Na schön«, meinte sie, sich innerlich wappnend. »Wenn dir das auf dem Herzen liegt, dann schieß los.«
    »Der Wind ist längst noch nicht alles. Er könnte die Erdoberfläche bis aufs Muttergestein kahlfegen. Er könnte mehr Staub in die Troposphäre hochwirbeln als ein größerer Vulkanausbruch.«
    »Oh«, sagte sie. »Du meinst den F-6.«
    Er schenkte ihr den seltsamsten Blick, mit dem er sie je bedacht hatte. »Fühlst du dich gut, Janey?«
    »Ja, klar. Ich fühle mich so gut, wie

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