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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ihr ins Ohr: »Ich wußte gar nicht, daß er so komisch ist, du etwa?«
    »Nein, ich auch nicht.«
    »Ich muß los, Jane. Ich muß noch was erledigen heut abend, aber dein kleiner Bruder hat's wirklich drauf.«
    »Yeah, Ed, das hat er, was?«
    »Ist nicht unbedingt zu was gut, aber das ist richtiges Entertainment! Der hat Phantasie!«
    »Danke, Ed.«
    »Ich bin froh, daß du ihn zu uns gebracht hast. Bye, Janey.« Er klopfte ihr auf die Schulter und ging.
    Während zusätzliche Schlingen seine Knöcheln umfingen, umklammerte Alex das Seil nun mit beiden Händen und rollte wie ein überdimensionales Wagenrad am Rand des Zuschauerkreises entlang. Um und um, um und um, um und um drehte sich sein weißes Clownsgesicht, während die Nacht von Anfeuerungsrufen und Beifall widerhallte.
    Dann verlor er auf einmal den Halt, geriet ins Schwanken und fiel hin. Er stürzte mit dem Kopf voran und traf ziemlich schwer auf. Wo seine gestiefelten Beine aufschlugen, wirbelte Staub empor.
    Niemand sagte etwas. Jane hörte das Feuergeprassel.
    Alex erhob sich rasch, wenn auch ziemlich unsicher. Er klopfte sich den Staub vom teuren Hemd und lächelte tapfer. Irgendwie war er in der Stadt gewesen, in einem Laden für Neowesternkleidung. Hatte sich wahrscheinlich mit dem Motorrad nach Oklahoma City abgesetzt, als gerade niemand aufgepaßt hatte.
    Er sprach die ersten Worte des Abends. »Lassoschwingen macht 'ne Menge Spaß«, brüllte er abgehackt, »wenn man nicht gerade den Hals drin stecken hat!«
    Die Trouper brachen in schallendes Gelächter aus.
    »Und jetzt kommt der absolute Höhepunkt!« rief Alex grimmig. Mit peitschenden Bewegungen brachte er das Seil auf Touren. Das Seil stieg empor, begann zu rotieren und zog sich dann zu einer Spirale zusammen. Am Boden schmal. Breiter an der Spitze. Es wirbelte so rasch, daß man es nur noch als funkelnden Schemen wahrnahm.
    Und es wurde immer noch schneller. Das Feuer wogte im Luftzug. Das Seil saugte Staub vom Boden auf.
    Ein Spielzeugtornado.
    Das peitschende Seil erzeugte soviel Wind, daß man es spürte. Als der Wirbel am Ende des Seils an ihr vorbeikam, fühlte Jane, wie der Luftzug an ihrem Haar zerrte. Dann riß sich das Ende des smarten Seils ganz oben los und zuckte mit einem unangenehmen Peitschenknall, ein Spielzeugdonnerschlag, über ihre Köpfe. Es knallte noch ein zweites und ein drittes Mal. Der Wirbel rotierte immer schneller, wobei er summte wie ein Dynamo. Alex verausgabte die Batterie bis zum letzten. Jane sah ihn dort hocken, wie er zurückzuckte vom Seil, das er nur mühsam unter Kontrolle hielt, vorsichtig, erschreckt von seiner eigenen Schöpfung.
    Dann schaltete er das Seil aus. Es sackte mitten in der Luft in sich zusammen und fiel zu Boden, wo es als ein Haufen loser Schlingen liegenblieb. Ein totes Ding, ein totes Seil.
    Die Truppe applaudierte begeistert.
    Alex bückte sich und sammelte das tote Seil auf.
    »Das war alles, was ich für euch habe«, sagte er und verneigte sich. »Ich danke euch für eure freundliche Aufmerksamkeit.«

NEUNTES KAPITEL
     
    Der Tag dämmerte mit einem gallenartigen, blau geäderten Gelb, wie ein verdorbener Käse. Der Jetstream hatte sich verlagert, und das Hoch war endlich in Bewegung gekommen. Jane und Alex fuhren mit Charlie über den Highway Nr. 40 zum Ort des Geschehens. Jane hatte keine Ahnung, warum Jerry ihr an diesem kritischen Tag ausgerechnet Alex als Jagdgefährten zugeteilt hatte. Vielleicht um ihr eine Lektion hinsichtlich der unvermeidlichen Auswirkungen einer arroganten guten Tat zu erteilen.
    Eigentlich hatte sie erwartet, daß es zwischen ihr und ihrem Bruder zu einer gehässigen Machtprobe kommen würde, aber Alex war ungewöhnlich zahm. Er wirkte wirklich krank - vielleicht stand er aber auch nur unter Drogen. Das hätte Alex ähnlich gesehen, sich nach Oklahoma City zu stehlen und sich irgendein Teufelszeug zu besorgen.
    Er tat jedoch, was sie ihm sagte. Er befolgte ihre Anweisungen, versuchte, die Kameras zu bedienen, verfolgte die Jagdberichte aus dem Camp, lud Karten herunter und machte sich Notizen. Vielleicht war er nicht gerade mit Begeisterung bei der Sache, aber er war aufmerksam und umsichtig, und er machte keine Fehler. Eigentlich war Alex kein schlechterer Fahrtbegleiter als jeder andere Trouper auch. Trotz alledem hatte er es tatsächlich geschafft. Ihr Bruder war ein richtiger Trouper geworden.
    Das Seil hatte er dabei. Er schleppte es jetzt ständig mit sich herum und trug es wie einen

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