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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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abgerissenen Marionettenfaden über der mageren Schulter. Seine Spielzeug-Cowboyklamotten hatte er allerdings wieder weggepackt und trug jetzt einen einfachen Papieranzug, frisch von der Rolle. Und er hatte sich mit dem Schwamm gewaschen, rasiert und sich sogar gekämmt.
    Diesmal hatte Alex auf die Atemmaske verzichtet. Fast wäre es ihr lieber gewesen, wenn er sie getragen hätte. Mit seiner bleichen Schnauze, den gestreiften Wangen, der wächsernen Haut und dem allzu ordentlichen Haar wirkte er wie der halbfertige Kunde eines Leichenbestatters.
    Kilometerweit fuhren sie westlich von Oklahoma in tiefem Schweigen dahin, das nur von den Meldungen des Aerodromtrucks und des Radarbusses unterbrochen wurde.
    »Wieso trägst du jetzt den Papieranzug, Alex?«
    »Weiß nicht. Die anderen Klamotten haben mir einfach nicht mehr gepaßt.«
    »Ich weiß, was du meinst.«
    Erneutes Schweigen.
    »Mach das Verdeck runter«, sagte Alex.
    »Es ist ziemlich staubig draußen.«
    »Mach's trotzdem runter.«
    Jane machte es runter. Das Wageninnere füllte sich mit feinem, wirbelndem Staub. In Bodenhöhe wehte eine unangenehme, heiße Brise, eine Brise, die von Westen den Gestank von Asche und Mumifizierung mit sich führte.
    Alex verrenkte sich den schmalen Hals und blickte zum Zenit empor. »Siehst du das Zeug dort oben, Janey?«
    »Was denn?«
    »Sieht so aus, als würde der Himmel auseinanderbrechen.«
    Überall war ein niedriger, gelblicher Dunst, ein Dunstnebel wie der dünne Film auf einem Tierzahn, doch über dem Staub war es trocken und klarer. So klar, daß Jane irgendwo in der Stratosphäre eine kleine Zirruswolke bemerkte. Mehr als eine kleine Zirruswolke, wenn sie genau hinschaute. Eine höchst seltsame, spinnennetzartige Zirruswolke. Lange, dünne Filamente aus wattigem Nebel, die sich weit über den Himmel erstreckten, jedoch nicht in parallelen Wellen, wie man es von einer Zirruswolke hätte erwarten können, sondern kreuz und quer in seltsamen Winkeln angeordnet. Ein Gitternetz hoher, rasiermesserscharfer Eiswolken, wie ein in Sechsecke zerbrochener schmutziger Spiegel.
    »Was ist das für ein Zeug, Janey?«
    »Sieht aus wie eine Benard-Strömung«, antwortete Jane. Es war schon erstaunlich, um wie vieles besser schweres Wetter aussah, wenn man nur ein Schlagwort dafür hatte. Wenn man ein Schlagwort hatte, konnte man sich über das Wetter richtig unterhalten, und es war beinahe so, als könnte man etwas dagegen tun. »Diese Art Stratus bildet sich bei einer sehr langsamen, sanften allgemeinen Aufwärtsströmung. Wahrscheinlich ein Wärmeeffekt weit über dem Hoch.«
    »Warum gibt es keine Wolkentürme?«
    »Die Luftfeuchtigkeit ist zu niedrig.«
    Auf der 283 North, unmittelbar östlich von Antelope Hills, begegneten sie einer Kaninchenhorde.
    Obwohl sie im vergangenen Jahr streng schmeckende, scharfgewürzte Kaninchengerichte im Überfluß genossen hatte, hatte Jane den Kaninchen nie sonderlich große Beachtung geschenkt. In Westtexas waren Kaninchen ebenso allgegenwärtig wie der Staub. Kaninchen waren schnell wie der Wind und konnten mit Leichtigkeit über einen Wagen drüberspringen, aber ihrer Erfahrung nach rafften sie sich nie zu etwas derart Spektakulärem auf. Es gab nicht mehr viele Raubtiere, die Jagd auf Kaninchen machten. Daher fraßen die Kaninchen - eigentlich waren es Eselhasen, wenn man es ganz genau nahm -, vermehrten sich und starben an ihren zahllosen Parasiten und Krankheiten, genau wie die unbestrittenen Herren der Erde.
    Eselhasen hatten ein grau-braun gesprenkeltes Fell, lächerlich lange, geäderte, an den Enden schwarze Ohren und die langen, grazilen Gliedmaßen eines Wüstentiers. Man sah sie häufig im Gebüsch umherhoppeln, und sie fraßen nahezu alles - Kakteen, Beifuß, Bierbüchsen, alte Reifen, vielleicht sogar verrosteten Stacheldrahtzaun. Eselhasen waren pittoreske Tiere mit dicken Hinterteilen, wenn auch ihre hervorquellenden gelben Nageraugen an Dummheit mit denen einer Eidechse wetteiferten. Bis jetzt hatte Jane noch keinen richtig aufgeregten Eselhasen gesehen.
    Doch nun hoppelten hier Dutzende von Eselhasen wie ein Schwarm schlaksigen, schmutzfarbenen Ungeziefers über die Straße. Auf einmal waren es Hunderte. Dann Tausende, eine endlose, abgerissene, hoppelnde Ungezieferbrut. Charlie, vollständig verwirrt von einer Straße, die sich auf einmal in eine brodelnde, springende Flutwelle aus Fell verwandelt hatte, verlangsamte bis auf Schrittempo.
    Die Hasen waren alles andere als

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