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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dann brech ich dir die Beine und laß dich am Straßenrand liegen!«
    Alex fiel es schwer, die wilde Drohung ernst zu nehmen, obwohl sie eindeutig ernst gemeint war. Es war das alte Lied. Alex' Ansicht nach trug seine Schwester ganz allein die Schuld an den Problemen, die er mit ihr hatte. Seit jeher war sie es gewesen, die in sein Zimmer platzte, ihn in den Schwitzkasten nahm, seine Spielsachen kaputt machte und Befehle bellte. Früher oder später endeten alle ihre Begegnungen damit, daß er ihre Finger von seiner Kehle löste.
    Andererseits hatte er so gut wie nie versucht, sich in das Beinahechaos einzumischen, das Juanita als ihren Alltag bezeichnete. Allein schon dabei zuzuschauen, wie seine Schwester das Leben anging und immer wieder mit dem Kopf gegen Betonwände anrannte, erschöpfte ihn. Er hatte ihr immer zugestanden, sich auf ihre Weise in die Hölle zu keifen.
    Jetzt, wo Mama tot und Papa mit seinen Kräften am Ende war, glaubte sie anscheinend, ihm vorschreiben zu müssen, wie er zu leben habe. Er würde sie noch früh genug eines Besseren belehren.
    »Nimm's leicht«, riet er ihr. »Deine Liebesaffäre, oder was du da gerade erlebst, geht nur dich was an. Ich habe nichts gegen diesen Jerry.« Er kicherte. »Scheiße, er tut mir leid.«
    »Besten Dank. Er heißt Jerry Mulcahey. Doktor... Gerald Mulcahey.«
    Den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie seinen Namen aussprach, hatte er bei ihr noch nie gesehen. In dem Moment wirkte sie wie eine Kreuzung aus verknalltem Schulmädchen und einer ultravamphaften schlechten Schauspielerin in einer mexikanischen Seifenoper. Was immer sie da erwischt hatte, es hatte sie richtig schlimm erwischt. »Kein Problem, Janey«, meinte er vorsichtig. »Ich hab nicht das geringste gegen ihn oder deine anderen verrückten Freunde. Solange sie mir nicht auf die Füße treten.«
    »Aber sie werden dir auf die Füße treten, Alex, und ich bitte dich, deswegen nicht auszuflippen. Nicht aus brüderlichen Gefallen - darum würde ich dich nicht bitten -, sondern weil es interessant ist. Wirklich interessant, okay? Und wenn du eine Weile durchhältst, dann kannst du sogar noch was lernen.«
    Alex brummte etwas. Er sah wieder aus dem Fenster. Die Dämmerung wurde allmählich eindrucksvoll. Die texanischen High Plains waren von Natur aus öde, aber die Natur hatte irgendwann ihre Sachen zusammengepackt und war verduftet. Das Zeug, das am Straßenrand wuchs, schien darüber ausgesprochen glücklich zu sein. Kilometer um Kilometer kamen sie an hüfthohem, hartstengligem, olivgrün-tristem Unkraut mit häßlichen kleinen, unnatürlich gelb gefärbten Blütentrauben vorbei. Ein Farbton, wie man ihn von einer Pflanze irgendwie nicht erwartete; weder einladend noch hübsch. Die Art Farbe, die eher zu toxischem Abfall oder Senfgas gepaßt hätte.
    Hinter den Blumen am Straßenrand lag der zusammengebrochene Stacheldrahtzaun einer Viehranch. Die vor langer Zeit aufgegebenen Weiden waren mit Mesquit überwuchert.
    Sie fuhren an den langen Morgenschatten einer enthaupteten Ölpumpe vorbei, daneben lagen ein halbes Dutzend verrosteter Lagertanks für westtexanisches Rohöl, ein Stoff, der mittlerweile genau wie der Alk von der Bildfläche verschwunden war. Die tonnenschweren Bohrgeräte rosteten tief im steinigen Boden still vor sich hin, dem menschlichen Auge verborgen, aber trotzdem für geologische Zeitalter gegenwärtig, der abgezwickte verrottende Rüssel einer totgeschlagenen Treibhauseffekt-Mücke.
    Hin und wieder ragten entlang dem Highway kaputte Windräder auf, die spitz zulaufenden Zinnflügel völlig verbogen, die Betonzisternen geborsten und staubtrocken über einer Wasserader, die zu nacktem Sandstein ausgebleicht war… Sie hatten das Land trockengesaugt und statt dessen ihre mechanischen Vampirzähne dagelassen, die wie die abgerissenen Mandibeln einer Zecke wirkten…
    Sie hatten aus der Erde alles herausgeholt, was sich verkaufen ließ; und dann waren sie verschwunden. Doch dann war der Treibhausregen gekommen. Man sah, daß die hiesige Vegetation diese Art Regen überhaupt nicht gewohnt war. Die Pflanzen waren wahrhaftig keinen Deut besser als die Menschheit - bloß eine weitere häßliche, boshafte, raffgierige Spezies, zum Leiden geboren und genügsam… Aber der Regen war trotzdem gekommen. Nun wurde die texanische Hochebene überschwemmt von Regen und warmer, kohlendioxidreicher Luft, und das alles unter einer glühenden Treibhaussonne. Für einen Kaktus war das Phantasien.

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