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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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…», hörte ich mich mit Gouvernantenstimme fragen. Igitt, wie eklig ich sein konnte. Fehlte nur noch, dass ich ihn fragte, ob seine Absichten denn auch ehrenhaft seien.
    Aber Joachim lächelte gutmütig und zog es vor, zu schweigen. So gut schien er meine Tante schon zu kennen. Sie liebt es nämlich zu antworten, ohne gefragt worden zu sein.
    «Liebchen, hör auf, dich wie meine Anstandsdame zu benehmen. Ich war dreimal verheiratet, habe eine Kreuzfahrt auf der ‹MS Europa› und einen Weltkrieg überlebt. Ich kann also auf mich selbst aufpassen. Erzähl mir lieber von Franks Heiratsantrag. Ich bin übrigens wahnsinnig stolz auf dich, dass du nicht sofort Ja gesagt hast. Was ich allerdings nach wie vor nicht verstehe, ist, warum du überhaupt so dringend darauf gewartet hast.»
    «Weil ich altmodisch bin, zumindest bei diesem Thema. Eine Frau will gefragt werden.»
    «Unsinn! Nur dumme Frauen wollen gefragt werden.Die kluge Frau fragt selbst. Es ist in Ordnung, wenn du dir den Stuhl unter den Po schieben oder dich über die Schwelle tragen lässt. Und von mir aus kann dein Mann auch die Nabelschnur eures Kindes durchtrennen. Bei symbolischen Handlungen kann man ruhig altmodisch sein. Aber du hättest doch auch nicht acht Jahre gewartet, bis dein Chef dir freiwillig eine Gehaltserhöhung angeboten hätte. Den hast du auch selbst gefragt. Wenn es um dein Leben und deine Zukunft geht, solltest du lieber handeln als warten.»
    «Wenn du so modern bist: Warum hast du dann eine Abfindung von einer Million von Heinz-Peter angenommen?»
    Ich suchte Streit, aber Tante Rosemarie schenkte sich lieber «La Grande Dame» nach.
    «Ach, Liebchen, das ist eine spezielle Geschichte, die du irgendwann verstehen wirst. Eine Frau und eine Million weniger – aber der Gedanke, das Ganze könnte irgendwas mit ihm zu tun haben, ist dem armen Heinzelmann immer noch nicht gekommen.»
    «Aber du hast doch immer gesagt, wenn keine minderjährigen Kinder im Spiel sind, sollte es weder Unterhalt noch Abfindungen geben.»
    «Das ist auch immer noch meine Meinung. Diese schrecklichen Frauen, die jammern: ‹Ich habe ihm die besten Jahre meines Lebens geschenkt, und dafür soll er jetzt zahlen.› Selber schuld! So etwas Kostbares verschenkt man doch auch nicht. Und wenn die Damen in diesen besten Jahren ihr Handicap verbessert, Business-Partys organisiert und der Putzfrau gesagt haben, wo sie nochmal nachwischen soll – meine Güte, dann können die Jahre doch auch nicht so schlecht gewesen sein. Wozu also eine finanzielle Entschädigung?»
    «Und was machst du jetzt mit Heinz-Peters Million, die du doch eigentlich gar nicht haben willst?»
    «Das bleibt vorerst mein Geheimnis.»
    «Du willst mich also wieder mal überraschen?»
    Ich lachte und nahm ihre Hand. Ich war nur noch froh, den Heiligabend mit meiner Tante Rosemarie verbringen zu können.
    Heute wünschte ich, ich hätte ihr in dieser Nacht die Fragen gestellt, mit denen ich mich jetzt so alleingelassen fühle. Heute wünschte ich, ich hätte sie gebeten, zu bleiben, mir zur Seite zu stehen, mich nicht zu verlassen und schon gar nicht für immer.
    Um drei Uhr morgens standen wir frierend vor der Haustür. Es hatte zu schneien begonnen, und es gab seit vielen Jahren die ersten weißen Weihnachten. Der Rest der Familie schlief schon lange. Joachim brachte die Koffer zum Taxi, und Tante Rosemarie und ich hielten uns an den Händen.
    Meine schmale, zarte, energische Tante wirkte inmitten der Schneeflocken wie schwerelos. Als würde sie selbst gleich in den stillen Nachthimmel gewirbelt.
    «Ich wünsche dir eine wunderbare Reise.»
    «Ich glaube, es wird die schönste meines Lebens.»
    Wir küssten uns auf beide Wangen. Ihre Augen glänzten. Als schwämmen sie in Tränen.
    Das wird an der Kälte liegen, dachte ich, als ich ins Wohnzimmer ging, um die Kerzen am Baum zu löschen.

    Ich mag ihr Grab nicht verlassen – obwohl es leer ist und das hässlichste weit und breit. Ich fühle mich hier in guter Gesellschaft.Und mir graut vor dem Leichenschmaus im engsten Familienkreis.
    Meine Mutter hatte eine Ecke in einem Lokal reserviert, das Trauergesellschaften zehn Prozent Rabatt gewährte. Man würde sich gegenseitig versichern, wie sehr man Tante Rosemarie geschätzt und dass sie einen so grauenvollen Tod nicht verdient habe.
    Nach der Vorspeise, das weiß ich jetzt schon, werden sie alle wieder über ihre Krankheiten, die Schulnoten der Kinder und die Spritpreise reden.
    Katrin war schon

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