Schwerelos
Teenager.»
Mein Vater begriff nicht, dass Onkel Arnold mit zu viel Geld und zu viel Nachsicht sein schlechtes Gewissen betäuben wollte. Er hatte sich früh von Leonies Mutter getrennt und einen Gierlappen namens Manuela geheiratet, die keiner von uns ausstehen konnte – am wenigsten Leonie.
Manuela hatte sich mit dem Geld ihres Mannes einen Platz in der Wiesbadener Gesellschaft erkauft, wo sie zwar als stillose Neureiche galt, was aber niemanden nachhaltig störte, weil sie Gartenpartys mit Feuerwerk veranstaltete und dem Golfclub einen Außenpool spendiert hatte. Seit ihrem Aufstieg hatte sich Manuela ausgebeten, nur noch mit Manou angesprochen zu werden, und zwar mit dieser leicht lasziven Betonung der Endsilbe, was in etwa so gut zu ihr passt, als würde man ein Rhinozeros «Fee» taufen.
Leonie hockt mit bebenden Schultern und rotfleckigem Gesicht vor mir und bringt kaum einen verständlichen Satz raus. Wir sitzen in einem Lokal in Friedhofsnähe. Sie trinkt Tee, ich habe mich in Anbetracht der Umstände für einen Grog mit doppeltem Rum entschieden. Schließlich war meine Tante unter erschreckenden Umständen gestorben und meine Cousine unter erschreckenden Umständen schwanger geworden. Das ist mehr, als ich heute ohne Alkohol ertragen kann.
«Bitte nochmal der Reihe nach. Du warst bis vor vier Wochen in Goa, um eine Tauchschule zu eröffnen, und bist schwanger. Und warum weißt du nicht, von wem?»
«Weil ich in der fraglichen Zeit mit ungefähr drei Männern geschlafen habe.»
Ich schlucke beschämt. In meinem ganzen Leben gab es noch keinen Monat, in dem ich mit «ungefähr» drei Männern geschlafen habe. Und was heißt eigentlich «ungefähr»?
«Was meinst du mit ‹ungefähr›?»
«Na ja, ich war ein paarmal ziemlich betrunken und bin mir nicht ganz sicher, ob es zum Äußersten gekommen ist. Außerdem gibt es in Goa nicht an jeder Ecke Kondomautomaten.»
«Und wer sind die drei potentiellen Väter?»
«In Goa werden nach dem Sex keine Visitenkarten ausgetauscht. Ich kann mich grad noch an die Vornamen erinnern und ob der Typ ein Tattoo hatte oder nicht.»
«Und weißt du schon, ob du das Kind bekommen willst?»
«Ich bin zu alt, um abzutreiben. Vielleicht werde ich nie wieder schwanger, und das würde ich mir mein ganzes Leben lang vorwerfen.»
«Leonie, du bist neunundzwanzig!»
«Eben.»
«Und wie soll es jetzt weitergehen?»
«Wenn ich das bloß wüsste! Ich wohne seit zwei Wochen bei meinem Vater, aber da will ich wegen Manuela auf keinen Fall bleiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass meine morgendliche Übelkeit nicht am Baby liegt, sondern an ihr. Die Alte ist echt zum Speien.»
«Weiß sonst noch jemand, dass du schwanger bist?»
«Nein, du bist die Einzige.»
«Im wievielten Monat bist du?»
«Im vierten.»
«Dann kannst du es sowieso nicht mehr lange geheim halten. Wann ist denn der Geburtstermin?»
«Zwölfter Juli.»
«Das gibt es ja gar nicht, das ist mein Geburtstag!»
Es ist absolut lächerlich, aber ich bin plötzlich zutiefst bewegt und fühle mich mit diesem ungeborenen Wesen auf seltsame Weise verbunden. Meine mütterlichen Gefühle – für Leonie und für ihr Kind – sind noch viel, viel stärker, als ich sie für alle meine Kaninchen, meine Wellensittiche und selbst für die von mir über alles geliebte Schildkröte Isabelle empfunden habe. Ja, dieses Goldhausen-Baby muss geboren werden!
«Weißt du schon, was es wird?»
Ich habe tatsächlich einen riesenhaften Tränenkloß im Hals. Leonie schüttelt den Kopf.
«Warst du regelmäßig bei den Vorsorgeuntersuchungen?»
Leonie schüttelt wieder den Kopf.
«Spinnst du? Das muss sofort anders werden! Ich mache dir sofort einen Termin bei meinem Frauenarzt.»
«Aber du lebst doch in Hamburg.»
«Und genau da fahren wir jetzt hin. Ich habe den perfekten Vater für dein Kind. Nun ja, genau genommen sind es sogar zwei Väter.»
Das Klassentreffen mit Küppi Kanak an meiner Seite war ein wahres Fest geworden.
Wir hatten uns wiedergefunden, und das Schönste war, wir lebten beide in Hamburg.
«Das gibt es doch gar nicht!», hatte Küppi geschrien, als wir herausfanden, dass wir sogar im selben Stadtteil wohnen. «Goldi, mein Hase, ich habe mich so oft gefragt, was aus dir wohl geworden ist. Du warst meine einzige Freundin, weißt du das? Ich war dick, du warst hässlich – so was schweißt zusammen.»
«Stimmt es eigentlich, dass du damals in die fiese Fricke verknallt warst?»
«Aber Schätzchen, im
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