Schwerelos
Anstalten machte, einen geeigneteren Ort fürs Kinderkriegen aufzusuchen, beispielsweise den Kreißsaal.
«Alle zwei Minuten – Leonie, wir gehen jetzt rein», sagte Erdal schließlich resolut.
Leonie war so verblüfft über diese unheimlich männliche Anordnung aus dem Mund von unserem wachsweichen Asthmatiker, dass sie sich widerspruchslos von uns hochhelfen und hineinrollen ließ.
Drinnen begrüßte uns eine Hebamme, von der ich befürchtete, dass es persönliche Spannungen zwischen uns geben könnte. Das neckische Brillengestell, die zusammengewachsenen Augenbrauen und die burschikose Frisur deuteten darauf hin, dass wir es hier mit einer naturnahen, den Schmerz als Teil des Ganzen bejahenden Frau zu tun hatten.
Dafür sprach auch, dass sie Leonie als Erstes fragte, welche Musik sie am liebsten hören wolle und ob sie bei den Räucherstäbchen einen bestimmten Duft bevorzuge. Dann wandte sie sich an Erdal und mich, zog die Nase kraus, beschnüffelte die Luft und fragte: «Haben Sie getrunken?»
Oh, das war mir peinlich. Wie sollte ich das jetzt erklären? Verschütteten Wein am Ärmel, auf dem Sofa geschlafen, keine Zeit mehr zum Umziehen gehabt – das alles klingt doch nach den Ausreden einer üblen Trinkerin.
Glücklicherweise wurde die vorwurfsschwangere Stilledurch Leonie unterbrochen, die tatsächlich einen Moment lang in Vergessenheit geraten war. Sie keuchte und schrie mitten aus einer Wehe heraus: «Hallo? Frollein? Ich will dieses Scheißkind kriegen, und zwar so schnell und schmerzlos wie möglich. Holen Sie den Anästhesisten und schieben Sie sich Ihre Räucherstäbchen in den Arsch. Ich kann nicht mehr!»
Die Hebamme lächelte auf eine Dalai-Lama-hafte Weise, die in mir Mordgelüste weckte. Sie senkte gnadenreich den Kopf und sagte in meine Richtung: «Gebärenden muss man verzeihen. Sie befinden sich in einer Extremsituation und meinen das, was sie sagen, nicht ernst.»
«In fünf Minuten ist der Narkosearzt hier! Und das meine ich sehr ernst!», sagte Erdal mit einer Bestimmtheit und Kompromisslosigkeit, die mich erneut erstaunte. Die Hebamme rauschte beleidigt heraus und kam mit einem etwas verschlafenen Arzt und einer sehr, sehr langen Nadel zurück. Ich bin heilfroh, dass Erdal und ich gebeten wurden, den Kreißsaal zu verlassen, während die Narkose installiert wurde.
Zwei Stunden später waren zwar Leonies Schmerzen so gut wie weg, aber das Baby weigerte sich, den Mutterleib zu verlassen.
«Ihr Kind ist nicht zu dick, Herr Küppers, das Becken Ihrer Frau ist zu schmal.»
Es hatte zwischenzeitlich einen Schichtwechsel gegeben, und jetzt haben wir es zum Glück mit einer sehr patenten und vertrauenerweckenden Hebamme zu tun.
«Na, das ist doch mal eine schmeichelhafte Diagnose», sage ich nicht ohne Neid.
Ich hatte mein Lebtag unter eher breiten, ländlichen Hüftengelitten. War nur zu hoffen, dass sich das für eine etwaige Geburt wenigstens als Vorteil erweisen würde. Man hört doch hin und wieder Geschichten von Frauen, die ihr Kind aus Versehen und innerhalb von Sekunden auf der Toilette gebären. Ein absoluter Traum, wenn man mich fragt.
«Was heißt das, mein Becken ist zu schmal?»
Leonie hatte natürlich auch ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, wie es jetzt weitergehen würde.
«Wenn das Baby in zehn Minuten nicht da ist, machen wir einen Kaiserschnitt. Und übrigens, draußen wartet ein sehr nervöser Herr, der ebenfalls nach Alkohol riecht. Gehört der etwa auch noch dazu?»
«Allerdings!», ruft Erdal hocherfreut. Er hatte Karsten die ganze Nacht nicht erreichen können, was vermutlich am FC St. Pauli lag, der gestern Abend wieder in die Erste Bundesliga aufgestiegen war.
«Ich gehe mal kurz raus und bringe Karsten auf den neuesten Stand. Entspann dich, Leonie. Ein Kaiserschnitt hat auch viele Vorteile. Es kann da unten nichts zerreißen, und die Kinder sehen nicht ganz so zerblötscht aus. In Amerika bieten sie dir sogar an, beim Kaiserschnitt gleich das Fett mit abzusaugen. Ein super Service!»
Leonie, die Hebamme und ich sind jetzt allein.
«So, Frau Goldhausen, jetzt regeln wir das unter Frauen. Manchmal ist die Anwesenheit des Kindsvaters oder was der Herr Küppers auch immer sein mag, auf den letzten Metern doch sehr störend. Also, wenn ich gleich sage ‹Pressen!›, dann tun Sie das mit aller Kraft. Und Sie, junge Dame, Sie stellen sich hinter ihren Kopf und reichen ihr beide Hände zum Zusammendrücken. Fertig? Also los: Pressen!»
Ich
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