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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ersten selbstverdienten Geld gegönnt habe? Einen Bausparvertrag. Die Startseite meines Computers ist Wetter.de, ich habe dreiRentenzusatzversicherungen, und ich würde nie in einem Land Urlaub machen, in dem ich im Supermarkt keine O B-Tampons kaufen kann. Ich hasse es, wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt.»
    Der Bräutigam ist inzwischen sturzbetrunken und torkelt wie ein jugendlicher Neufundländer über die Tanzfläche. Wild gewordene Frauen singen lauter und vor allem viel verzweifelter als Udo Jürgens: «Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei! Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen!»
    Ulrike bahnt sich einen Weg durch die vibrierenden Tanten und setzt sich neben mich.
    «Ich hatte so gehofft, dass er kommt.»
    «Wer?»
    «Michael natürlich.»
    «Michael Conradi? Zu deiner Hochzeit?»
    «Ich hatte die heimliche Hoffnung, dass er mich retten würde. Kurz vor dem Jawort hereinstürmt, mich aus der Kirche zerrt und mich mit sich nimmt.»
    «Das ist dann ja dumm gelaufen.»
    «Was hat er denn gesagt?»
    «Wozu?»
    «Na dazu, dass ich heiraten werde. Du hast es ihm doch gesagt, oder?»
    «Nein. Ich habe ihn nicht gesehen.»
    «Aber dann konnte er mich ja auch nicht retten!»
    Ulrike wird mit einem Schlag blass unter ihrem perfekten Braut-Make-up. Ton in Ton mit ihrem weißen Kleid steht sie auf und geht zum Ausgang. Ich bin die Einzige, die sieht, wie sie ein Taxi herbeiwinkt.
    «Komm, lass deine morschen Knochen klappern.»
    Erdal zerrt mich auf die Tanzfläche und hopst los.
    Zunächst wiege ich bloß etwas verhalten meine Hüften. Ich bin sonst eigentlich nicht so ein großer Fan von Vicky Leandros. Neben mir stürmen halbverglühte Ehefrauen und abgenutzte Konkubinen die Tanzfläche. Reißen die Arme in die Luft, singen lauthals einen Text mit, von dem sie nur träumen können.
     
    Vielleicht gefällt’s mir, wieder frei zu sein,
    vielleicht verlieb ich mich auch neu.
    Man wird ja sehn, die Welt ist schön, wie’s kommt,
    ist einerlei!
     
    Bei der zweiten Strophe kenn ich den Refrain bereits auswendig und finde, ich habe mir als Einzige hier von allen das Recht verdient, inbrünstig und glaubhaft mitzusingen.
     
    Ich frag dich, was kann mir schon geschehn?
    Glaub mir, ich liebe das Leben! Das Karussell wird sich
    weiterdrehn, auch wenn wir auseinandergehn.
     
    Es ist das absolute Pech von Petra Kern, meiner widerwärtigen Vorgesetzten, dass sie aus unerfindlichen Gründen auch auf dieser Hochzeit eingeladen ist und sich zur selben Zeit auf der Tanzfläche befindet wie ich.
    Sie schiebt sich quallenartig zuckend an mich heran und ruft mir von hinten ins Ohr: «Freut mich, Marie, dass du dich so gut amüsierst. Beruflich läuft’s bei dir ja derzeit leider nicht so gut.»
    Ich drehe mich lachend zu ihr um, hole kurz aus und schubse sie in die Reste der Hochzeitstorte.

«Willkommen in der phantastischen Welt der allein lebenden Frauen über dreißig!»

    Sollte ich mich in diesem Leben nochmal von jemandem trennen, ist eines schon mal völlig klar: Nie wieder an einem Sonntag! Sonntags bin ich sowieso schon immer tendenziell depressiv. Sonntags, denke ich, sind alle anderen glücklicher als ich. Machen Ausflüge, frühstücken im Bett, zeugen Kinder oder gehen mit den bereits gezeugten Kindern in den Tierpark.
    Frank liebt Sonntage, weil er dann endlich im Büro seine Ruhe hat und die liegengebliebene Arbeit erledigen kann. Wahrscheinlich tut er das jetzt gerade auch.
    Obschon ich mich beim ersten Kaffee heute Morgen um halb zehn von ihm getrennt habe.
    «Damit habe ich gerechnet», hat Frank gesagt, «du hast dich in letzter Zeit sehr verändert.»
    «Und warum hast du nichts gesagt oder etwas unternommen?»
    «Reisende soll man nicht aufhalten.»
    «Damit machst du es dir aber sehr einfach.»
    «Nein. Du machst es unnötig schwierig. Es war alles gut so, wie es war. Gibt es einen anderen?»
    «Nein.»
    «Ich glaube, du bist dabei, einen großen Fehler zu begehen.Aber das braucht ja jetzt nicht mehr meine Sorge zu sein. Du bist wirklich nicht wiederzuerkennen.»
    «Ich nehme das einfach mal als Kompliment.»
    «Ich muss in ein paar Tagen wieder für drei Wochen nach Dubai. Bis dahin ziehe ich in eine Firmenwohnung.»
    «Wenn du zurückkommst, bin ich ausgezogen.»
    «Die Nebenkosten für diesen Monat würde ich dir dann voll berechnen. Ist das in Ordnung?»
    «Selbstverständlich.»
    Wir sind ohne Herzklopfen zusammengekommen, und wir sind ohne Tränen

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