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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ausgeben konnte.
    Anti-Aging, wie das schon klingt! Wie Anti-Terror! Das lässt vermuten, dass es sich beim Altern um eine bedrohliche Untergrundbewegung handelt, der mit einem Sondereinsatzkommando unbedingt Einhalt geboten werden muss.
    «Alt ist immer fünfzehn Jahre älter als ich», hat Tante Rosemarie gesagt. «Ich will nicht so lange leben wie möglich, sondern so gut wie möglich. Und ich will meine Zeit nicht damit vertun, mich darüber aufzuregen, dass ich irgendwann für irgendwas zu alt sein werde.»
    Ach, ich wünschte, ich wäre schon zu alt für irgendwas. Zu alt zum Traurigsein zum Beispiel.
    Ich werde in einer Woche siebenunddreißig. Ich habe noch vierundvierzig Jahre vor mir. Aber ich weiß nicht mal, wie ich den vor mir liegenden Abend überstehen soll!
     
    «Ruf mich an! Ich warte auf dich! Ruf mich jetzt an!»
    Ich schrecke hoch, will nach der Nachttischlampe greifen, stoße aber stattdessen die halbvolle Weinflasche um. Wer spricht? Wo bin ich?
    «Worauf wartest du noch? Ruf mich an! Du bist doch genauso heiß wie ich!»
    Hä? Langsam wird auch mein Orientierungssinn wach.Ich bin im Wohnzimmer auf der Couch eingeschlafen und muss mich vor lauter Bedürftigkeit an die Fernbedienung gekuschelt haben.
    «Wähle dreimal die Sechs und zweimal die Vier! Komm schon, trau dich!»
    Ich schalte den Fernseher aus. Mein Ärmel ist nass vom Weißwein, es ist drei Uhr morgens. Was ist hier eigentlich los? Wo ist mein Bett, mein Freund, mein Kuscheltier?
    Ach ja, jetzt fällt’s mir leider wieder ein: Ich bin Single. Und das ist wahrscheinlich genau das, was Singles an einem Sonntagabend zu tun pflegen: auf dem Sofa einschlafen, mit ungeputzten Zähnen, verklebten Kontaktlinsen hinter den Augenlidern, die Fernbedienung und eine Flasche Wein im Arm.
    Willkommen, Rosemarie Goldhausen, in der phantastischen Welt der allein lebenden Frauen über dreißig!
    Ich bin erst fünf Sekunden wach und schon wieder am Heulen.
    Als ich das letzte Mal Liebeskummer hatte, war ich siebenundzwanzig. Auch damals hatte ich das Gefühl, nie wieder glücklich werden zu können. Das hatte nicht gestimmt, schließlich war ich zu jener Zeit noch jung und unwissend. Heute ist das anders, ich bin alt und weise, und diesmal bin ich mir ganz sicher: Ich werde nie wieder glücklich werden.
    Ich trinke aus der Flasche den Rest Wein, der den Absturz vom Tisch überlebt hat, und überlege, wen ich jetzt anrufen könnte. Niemanden. Das ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass man älter und erwachsen wird: Um drei Uhr nachts geht keiner mehr, den du kennst, ans Telefon. Vor zehn Jahren hatte ich mindestens fünf Freundinnen, die ich zu jeder Nachtzeit anrufen konnte.
    Telefonate bis zur Morgendämmerung waren damals keine Seltenheit. In den Gesprächen ging es meistens darum, warum X noch nicht angerufen hatte und nach welcher Frist es erlaubt sei, selbst bei X anzurufen. Kinderkacke, dachte ich mitleidig und überlegte, ob ich vielleicht doch kurz mal bei Frank durchklingeln sollte, bloß um mal unverbindlich zu fragen, wie es ihm seit der Trennung so ergangen ist.
    Dass in diesem Moment mein Telefon klingelt, kann ich kaum glauben, denn das muss Frank sein.
    Endlich!
    Wer sonst würde um diese Zeit anrufen, wenn nicht ein von Sehnsucht und Leid getriebener Realist, der seine Prinzipien über Bord wirft, um die einzige Liebe seines Lebens, die kurzzeitig auf Abwege geraten ist, zurück ins Nest der glückseligen, immerwährenden Partnerschaft zu heben? Ja, ich will! Ich will!!
    Es ist Erdal.
    Fruchtblase geplatzt.

    «Was meinen Sie mit ‹Passt nicht durch›? Wollen Sie damit sagen, mein Kind ist zu dick?»
    Erdal hört einen Moment auf zu pressen und schaut indigniert die diensthabende Hebamme an.
    Ich muss sagen, dass er sich bis jetzt sehr wacker gehalten hat. Ich mich allerdings auch. Ach ja, und Leonie auch.
    Ich traf auf die beiden um drei Uhr zwanzig vor dem Krankenhaus. Leonie legte sich gerade auf den Parkplatz, um eine Wehe zu veratmen. Der Vollmond schien, und zum Glück war es sehr mild und der Asphalt noch warm vom Tag. Unteranderen Umständen hätte es eine romantische Nacht sein können. Störend wirkte sich lediglich aus, dass ich frisch getrennt und zu romantischen Empfindungen nicht in der Lage war – und dass Leonie sich, immer wieder «Scheißeee eee !» brüllend, am Boden wand.
    Abgesehen von den Schmerzen schien sich Leonie da unten aber recht wohl zu fühlen, und etliche Wehen vergingen, ohne dass sie

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