Schwerelos
mich heimlich und erfolglos bei anderen Verlagen. Wieso sollten die mich auch nehmen, wo ich doch bei Kellermann & Stegele vor mich hin dorrte und nie die Chancebekam, mein Gespür für interessante Themen und gute Autoren zu beweisen?
Wenn ich meinem Verleger Dr. Ludwig Stegele auf dem Flur begegnete, wies er mich regelmäßig sehr höflich darauf hin, dass sich die Anmeldung für Besucher im Erdgeschoss befinde.
Einmal gab es ein paar Wochen, in denen er mich erkannte und bewusst nicht grüßte. Das war, nachdem ich in einer Konferenz vorgeschlagen hatte, einen Sexratgeber für in die Jahre gekommene Paare ins Programm aufzunehmen, um mal einen Titel von uns in die Bestsellerlisten zu bringen.
«Frau Goldhausen, ich bitte Sie, wir haben einen Ruf zu verlieren», belehrte mich der Verleger, und die blöde Kern beeilte sich zu sagen, ich sei ohnehin mit der überarbeiteten Neuauflage von «Bachblüten und Schüssler-Salze» beschäftigt.
Und so verschwand ich wieder in der Versenkung und aus dem Gedächtnis des Dr. Ludwig Stegele.
Das änderte sich grundlegend und nachhaltig, als ich aus Versehen eine Entdeckung machte. Es war vor zwei Jahren, und die olle Kern war übellaunig und unerträglich wie immer, wenn ihr vierwöchiger Sommerurlaub bevorstand. Sie machte mich persönlich dafür verantwortlich, dass ihr letzter Arbeitstag immer näher rückte, der Berg aus ungelesenen Manuskripten auf ihrem Tisch jedoch nicht wesentlich kleiner wurde.
So kam es mal wieder, dass ich am Tag nach ihrer Abreise einen riesigen Stapel Manuskripte auf meinem Tisch vorfand, darauf ein gelber Klebezettel mit der unwirschen Anweisung: «Habe alles gelesen. Nichts dabei. Allen Autoren absagen.»
Und mal wieder begann ich die Manuskripte mit Ehrfurcht und leicht beschleunigtem Herzschlag durchzusehen. Würde ich einen verborgenen Schatz entdecken? Ein Wahnsinnswerk, das ohne mich nie Leser finden würde? Würde ich einem begnadeten Autor zu unsterblichem Ruhm verhelfen – und er mir umgekehrt natürlich auch?
Es war mir völlig klar, dass die Kern nicht mal in ein Drittel der Manuskripte hineingeblättert hatte. Das merkte ich unter anderem daran, dass die meisten so sterbenslangweilig waren, dass meine Vorgesetzte sie mit Sicherheit in die engere Auswahl genommen hätte.
Wenn man nur Mist veröffentlicht, bekommt man eben auch nur Mist geschickt. Es war zum Verzweifeln: Die vier vielversprechenden Kern-losen Wochen waren fast vorüber und ich beim letzten Manuskript angelangt, Titel: «Wahrsa gen mit Dinkelschrot und Melasse».
Das war doch alles nicht zu fassen. Der Verlag Kellermann & Stegele war zur ersten Adresse für Eso-Idioten und Körnerspinner geworden!
Entnervt schlug ich das Manuskript auf. Seltsam. Nur leere Seiten. Ganz am Ende ein Brief.
Verlag Kellermann & Stegele
Sachbuchlektorat
z. Hd. Frau Petra Kern
Alstertwiete 4 – 8
20 149 Hamburg
Sehr geehrte Frau Kern,
ich bin überaus froh, Ihnen das Buch «Wahrsagen mit Dinkelschrot und Melasse» nicht anzubieten. Ich habe es nicht
geschrieben, obwohl es äußerst gut in Ihr Verlagsprogramm passen würde.
Stattdessen habe ich ein Buch geschrieben, das ganz und gar nicht in Ihr Programm passt – weil es höchst amüsant ist, außerordentlich klug und keine Sekunde langweilig.
Es geht um Liebe, Sex, Übergewicht und Untreue – Themen also, die in Ihrem Verlag vollkommen brachliegen.
Sollten Sie sich nicht bis zu Ihrem Sterbetag vorwerfen wollen, ein wirklich herausragendes Werk versäumt zu haben, freue ich mich, von Ihnen zu hören. Gern sende ich Ihnen dann eine Manuskriptfassung von «Hauptsache Liebe?».
Mit freundlichen Grüßen
Michael Conradi
Nun ja, ich bin wirklich kein Freund selbstverliebter Männer, die sich für begnadete Autoren halten und neckische Briefe schreiben. Aber da dieser Conradi offenbar meine Ansichten über den Verlag teilte und ich seit zwei Jahren nicht mehr auf Spesen essen war, verabredete ich mich mit ihm.
Was dann zusammenkam, war Glück, Entschlossenheit und die Tatsache, dass ich so gut wie nichts zu verlieren hatte.
Die blöde Kern fiel am letzten Tag ihres Urlaubs von einem Haflinger und zog sich einen außerordentlich komplizierten Beinbruch zu.
Ich übernahm für einige Wochen die Leitung des Sachbuchlektorats. Kurz bevor unsere Vorschau mit den neuen Büchern in Druck ging, stellte sich heraus, dass die Autorin von «Du glücklicher Pudel. Wie Sie Ihren vierbeinigen
Weitere Kostenlose Bücher