Schwerelos
schon selber beim Verwelken zu. Das reicht.»
Ich habe ein Gedicht dabei, von dem ich weiß, dass sie es liebte, weil sie es mir oft aus dem «Tantenbuch» vorgelesen hat, ein wunderschön in hellblaues Ziegenleder gebundenes Notizbuch, in das sie alles notierte, was sie beeindruckte oder reizte. Ich kenne das Gedicht auswendig.
Ich gehe langsam aus der Welt heraus
in eine Landschaft jenseits aller Ferne,
und was ich war und bin und was ich bleibe,
geht mit mir ohne Ungeduld und Eile
in ein bisher noch nicht betretenes Land.
Ich gehe langsam aus der Zeit heraus
in eine Zukunft jenseits aller Sterne,
und was ich war und bin
und immer bleiben werde,
geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,
als wär ich nie gewesen oder kaum.
Ich stoße die kleine Schaufel in den überfrorenen Erdhaufen. Die Klumpen schlagen hart auf das billige Kiefernholz.Und mit Schaudern und Herzschmerz mache ich mir klar, dass der Sarg von Rosemarie Goldhausen leer ist.
«Du brauchst Bedenkzeit? Ist das dein Ernst?»
Frank war offensichtlich sehr verdutzt. Verständlich, denn wir sind mittlerweile seit gut neun Jahren zusammen, und es hat sich zwischenzeitlich kein überzeugender Grund gefunden, warum wir nicht auch zusammenbleiben sollten.
Frank und ich sind das, was man ein gutes Team nennt. Und ich meine das überhaupt nicht abfällig, denn es ist genau das, was jemand wie ich von einer Beziehung erwartet. Manchmal wäre ich gerne gefühlsbetonter und romantischer, so wie meine Tante, aber ich war ein unansehnliches Mädchen mit einer riesenhaften Zahnspange im Gesicht gewesen, und das Einzige, worauf ich mich verlassen konnte, war mein Verstand. Für meine Gefühle hat sich lange Zeit niemand interessiert, mich selbst eingeschlossen.
Nein, eine Prinzessin bin ich nicht und werde ich wohl auch nicht mehr. Und Frank ist kein Prinz, sondern Systemtechniker bei einem Pharma-Konzern. Er arbeitet viel und ist oft wochenlang weg, um bei ausländischen Tochterfirmen Computer zu warten.
Meine Beziehung ist kein Märchen und bietet keinen Stoff für einen Film. Unsere Nachbarn mussten sich noch kein einziges Mal über uns beschweren. Ich habe noch nie Franks Computer aus dem Fenster geschmissen, weil er erst spätnachts von der Arbeit kam. Ich habe noch nie aus Eifersucht seine Hemden mit Rotwein übergossen oder seine Unterhosen mit Spiritus in Brand gesetzt. Ich beanspruche nichtrund um die Uhr Rücksicht und Aufmerksamkeit. Problemgespräche gegen drei Uhr nachts oder tränenerstickte Anrufe am frühen Morgen gehören nicht zu meinem Standardbeziehungsprogramm.
Ich bewundere Hildegard Knef, die gesagt hat: «Ich habe ein einfaches Rezept, um fit zu bleiben: Ich laufe jeden Tag Amok.»
Aber ich bin nun mal keine Diva. Eine wie ich geht ins Fitnessstudio, um fit zu bleiben. Normal eben.
Ist das schlimm? Oder langweilig?
Nein, das ist Liebe! Wahre Liebe im echten Leben. Das ist genau das, was ich will. Und das ist auch genau das, was ich schon immer wollte.
Ich habe es als anmaßend empfunden, vom Märchenprinzen zu träumen, wenn man selbst nicht mal andeutungsweise an eine Märchenprinzessin erinnert. Das kann ja nur schiefgehen. Dann gehörst du irgendwann zu den Frauen, die mit deutlichen Zeichen von Abscheu ihren Mann betrachten, weil er weder annähernd so gut aussieht wie der junge Paul Newman, noch annähernd so reich ist wie der alte Aristoteles Onassis. Und du bekommst diese fiesen, ziegigen «Ich-hab-den-falschen-Ehemann»-Falten um den verkniffenen Mund und wirfst deinem armen, redlichen Durchschnittsgatten sein Leben lang vor, dass er nicht deinen unverschämten und unerfüllbaren Sehnsüchten entspricht.
Die wenigsten Frauen haben den falschen Mann. Die meisten haben die falschen Träume. Ich nicht. Ich habe mich von jeher bei meinen Sehnsüchten und Phantasien lieber an der Wirklichkeit und an meinen realistischen Möglichkeiten orientiert und mir auf diese Weise manch herbe Enttäuschung im Leben erspart.
Und so gesehen habe ich meinen Traummann gefunden.
Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Seit mindestens achteinhalb Jahren hatte ich das Thema Hochzeit mehrfach nörgelig anmoderiert und in immer kürzer werdenden Abständen auf mein fortschreitendes Lebensalter aufmerksam gemacht.
Und seit Jahren bekam ich von Frank immer wieder die gleiche Antwort: «Warum sollen wir heiraten, solange wir keine Kinder haben? Du legst doch so viel Wert drauf, modern und emanzipiert zu sein. Ich verstehe nicht, warum
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