Schwerter-Zylus 02 - Schwerter und Teufelei
fragte eines der Mingol-Mädchen.
»Und überhaupt«, fügte ihre Zwillingsschwester hinzu, »wenn du von uns erwartest, daß wir uns Zehen und Brustwarzen abfrieren, nur um einem Publikum stinkender alter Bärenhäute zu gefallen, liegst du schief.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte die Ilthmarix, tätschelte ihm die gerötete Wange und die dünnen weißen Haare. »Ich bin immer am besten, wenn ich überall eine Gänsehaut habe. Wir werden sie schon dazu bringen, uns die Wände hochzujagen, und wir rutschen ihnen dann aus den Händen wie schlüpfrige Melonenkerne.«
»Jagen ...?« Essedinex umfaßte die schmalen Schultern der Ilthmarix. »Du wirst heute abend keine Orgien provozieren, hörst du? Necken macht sich bezahlt. Orgien nicht. Es kommt immer darauf an ...«
»Wir wissen schon, wie wir das Publikum anpacken müssen, Opa«, sagte eines der Mingol-Mädchen.
»Wir wissen sie im Zaum zu halten«, fuhr ihre Schwester fort.
»Und wenn wir's nicht schaffen – Vlana bringt es immer«, endete die Ilthmarix.
Als die fast unsichtbaren Schatten länger wurden und die nebelschwere Luft dämmerte, schienen die allgegenwärtigen Kristalle womöglich noch schneller zu wachsen. Das Palaver in den Handelszelten, die durch die schneebedeckte Waldzunge von den Wohnzelten getrennt waren, geriet ins Stocken und ging schließlich zu Ende. Der leise Dauergesang aus dem Frauenzelt machte sich lauter und schriller bemerkbar. Ein Abendhauch aus dem Norden ließ die Kristalle klirren. Das Singen bekam etwas Mürrisches, und der Windhauch und das Klirren hörten wie auf einen Befehl auf. Der Nebel kam in Fetzen aus dem Osten und Westen zurück, und die Kristalle wuchsen weiter. Die Gesänge der Frauen wurden zu einem Murmeln. Als der Abend herannahte, machte sich in Schneewinkel eine erwartungsvolle Stille breit.
Der Tag floh über den eisbewehrten westlichen Horizont, als fürchtete er sich vor der Dunkelheit.
In der Enge zwischen den Darstellerzelten und der Gotteshalle war Bewegung; ein Schimmer, ein heller Funke, der neun, zehn, elf Herzschläge lang flackerte, dann kam ein Blitz, ein Zischen, und es erhob sich – zunächst langsam, dann schneller und immer schneller – ein Komet mit einem buschigen Schwanz aus funkensprühendem orangefarbenen Feuer. Hoch über den Pinien, fast an der Schwelle zum Himmel – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – verblaßte der Kometenschweif und zersprang mit lautem Donnerschlag in neun weiße Sterne.
Es war das Raketensignal zum Beginn der ersten Vorstellung.
Im Innern war die Gotteshalle ein großes langes Schiff kalter Schwärze, unzureichend beleuchtet und beheizt durch eine Reihe Kerzen am Bug, der während des übrigen Jahres den Altar darstellte und jetzt als Bühne diente. Die Masten des ›Schiffes‹ waren lebende Pinien, die an Bug, Heck und an den Seiten emporwuchsen. Seine Segel – genaugenommen seine Wände – waren zusammengenähte Häute, fest an die Masten gelascht. Statt eines Himmels gab es oben nur dick miteinander verwobene Pinienäste, weiß von herabrieselndem Schnee, die etwa fünf Mannshöhen über dem Deck begannen.
Im Heck und Mittelteil dieses seltsamen Schiffes, das nur von den Winden der Phantasie angetrieben wurde, saßen dicht gedrängt, auf Baumstümpfen oder Deckenrollen, die Männer des Schnee-Clans in ihren düster-farbenfrohen Pelzen. Sie lachten trunken, knurrten sich Bemerkungen oder Witze zu – doch alles in gemäßigter Lautstärke. Denn immerhin waren sie in der Gotteshalle (oder besser – im Gottesschiff) und beim Betreten dieses Raumes hatte sie die religiöse Ehrfurcht angerührt, gepaart mit Angst – trotz oder vielleicht gerade wegen der profanen Verwendung, der diese Stätte heute abend zugeführt wurde.
Es ertönte ein rhythmisches Trommeln, drohend wie das Anschleichen eines Schneeleoparden und zunächst so leise, daß niemand zu sagen wußte, wann es eigentlich begonnen hatte; noch eben war der Saal voller Leben und Bewegung, im nächsten Augenblick herrschte starre Stille; Hände legten sich leicht auf die Knie oder klammerten sich dort fest, und Augen erforschten die kerzenbeleuchtete Bühne zwischen den beiden Vorhängen, die mit schwarz-grauen Spiralen bemalt waren.
Das Trommeln wurde lauter, schneller, komplizierter, webte geklopfte Arabesken und kehrte zum Leopardenschritt zurück.
Im Rhythmus der Trommelschläge sprang ein kleines, schlankes, silberpelziges Katzenwesen auf die Bühne – mit langen Beinen,
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