Schwester der Finsternis - 11
wird sie kommen. Die Imperiale Ordnung kann sich unmöglich halten – das Böse kann sich nicht halten, jedenfalls nicht für immer. Als ich noch klein war, gab es in meiner Heimat so etwas wie Schönheit, und es existierte Freiheit.
Durch Täuschung und Betrug wurden die Menschen dort dazu getrieben, ihr Leben und ihre Freiheit Stück für Stück zugunsten der Idee von der Gerechtigkeit für alle aufzugeben. Sie wussten nicht, was sie an ihr hatten, und ließen sich ihre Freiheit immer mehr beschneiden, und das für nichts anderes als das hohle Versprechen auf eine bessere Welt, eine Welt ohne Mühen, ohne Leistungsdruck und ohne Lohnarbeit. Stets war es ein anderer, der diese Dinge tun würde, der für sie sorgen und ihnen ein leichtes Leben bescheren würde.
Früher waren wir ein Land, wo es alles in Hülle und Fülle gab, jetzt dagegen verfaulen die wenigen Lebensmittel, die noch angebaut werden, während sie darauf warten, dass irgendein Komitee festlegt, wer sie bekommen soll, wer sie transportieren darf und was sie kosten müssen. Und in der Zwischenzeit verhungern die Menschen.
Man macht die Aufständischen, diejenigen, die sich dem Orden gegenüber illoyal verhalten, für all den Hunger und Streit verantwortlich, der uns langsam zu zerstören droht, daher werden immer mehr Menschen eingesperrt und hingerichtet. Wir sind ein Land des Todes. Der Orden wird nicht müde, lauthals seine Empfindungen für die Menschheit zu verkünden, aber mit ihren Methoden züchten sie nichts als den Tod heran. Auf meinem Weg hierher sah ich abertausende von Leichen, die man weder gezählt noch begraben hat. Der Neuen Welt schiebt man die Schuld für jedes Übel und für jedes Versagen zu, und junge Männer, die es kaum erwarten können, ihre Unterdrücker zu vernichten, ziehen in den Krieg.
Aber inzwischen haben viele Menschen die Wahrheit erkannt. Sie und ihre Kinder – ich und andere wie ich – dürsten danach, ihr eigenes Leben in Freiheit leben zu können, statt Sklaven des Ordens und ihrer Herrschaft des Todes zu sein. In meiner Heimat kam es zu Unruhen, genau wie hier. Eine Rebellion steht unmittelbar bevor.«
»Unruhe? Hier? Ich habe nichts dergleichen bemerkt.«
Victor lächelte geheimnisvoll. »Wer die Rebellion im Herzen trägt, zeigt seine wahren Gefühle nicht. Stets in Angst vor Aufruhr, erzwingt der Orden mittels Folter Geständnisse von denen, die sie ungerechterweise verhaftet haben. Jeden Tag werden mehr hingerichtet. Die, die wollen, dass sich die Dinge ändern, sind nicht so unklug, sich offen zu erkennen zu geben, bevor die Zeit gekommen ist. Eines Tages, Richard, wird es eine Rebellion geben.«
Richard schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Victor, für eine Rebellion benötigt man unbedingte Entschlossenheit. Ich glaube nicht, dass diese Entschlossenheit existiert.«
»Du hast Menschen gesehen, die mit den gegenwärtigen Verhältnissen unzufrieden waren. Alle, mit denen du zu tun hast, von den Beamten, die du bestichst, einmal abgesehen, dürsten nach Veränderung.« Victor zog eine Braue hoch und schaute Richard an. »Keiner von ihnen hat sich je bei irgendeinem Ausschuss oder Komitee über das beschwert, was du hier treibst. Vielleicht willst du ja nichts damit zu schaffen haben, was meiner Meinung nach dein gutes Recht ist, trotzdem gibt es Menschen, die darauf hören, was man sich hinter vorgehaltener Hand über die Freiheit oben im Norden erzählt.«
Richard straffte sich. »Freiheit, oben im Norden?«
Victor nickte ernst. »Das Wort von einem Erretter macht die Runde: Richard Rahl. Er führt die Menschen in den Kampf um die Freiheit. Es heißt, dieser Richard Rahl wird uns die Rebellion bringen.«
Wäre dies alles nicht von einer so überwältigenden Tragik gewesen, Richard wäre in schallendes Gelächter ausgebrochen.
»Woher willst du wissen, dass dieser Rahl es wert ist, ihm zu folgen?«
Victor heftete seine Augen mit einem Blick auf Richard, den dieser noch von seiner ersten Begegnung mit dem Schmied kannte.
»Man kann einen Mann nach seinen Feinden beurteilen. Richard Rahl wird wie kein anderer vom Kaiser, von Bruder Narev und dessen Jüngern gehasst. Er ist es. Er trägt die Fackel der Revolution.«
Richard brachte nur ein trauriges Lächeln zu Stande. »Aber er ist nur ein Mensch, mein Freund. Du solltest keinem Menschen huldigen. Huldige seinen Zielen, aber nicht ihm selbst.«
Victors funkelnder, so emotionsgeladener Blick, sein brennendes Verlangen nach Freiheit, wich
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