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Schwester der Finsternis - 11

Schwester der Finsternis - 11

Titel: Schwester der Finsternis - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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Unterwelt gestaltet werden.
    Die in den Stein gehauenen Figuren wirkten steif und ungelenk und hatten Gliedmaßen, die unmöglich ihren Zweck erfüllen konnten. Die als Relief gemeißelten Figuren waren für immer im Stein gefangen, aus dem sie nur zögernd hervorzutreten schienen. Ihre Körperhaltung gab eine Sicht des Menschen wieder, die ihn als unzulänglich, oberflächlich und bedeutungslos charakterisierte.
    Die einzelnen Bestandteile der verhassten menschlichen Anatomie, Muskeln, Knochen und Fleisch, verschmolzen zu Gliedmaßen, denen jede Lebendigkeit abging und deren verzerrte Proportionen den Figuren alles Menschliche nahm. Gesichter waren entweder teilnahmslos, wenn die Gestalt Tugendhaftigkeit darstellen sollte, oder erfüllt von Entsetzen, Seelenqual und Schmerz, sollte sie das Schicksal von Missetätern illustrieren. Anständige Männer und Frauen, gebeugt unter der Last ihrer harten Arbeit, waren stets so porträtiert, dass sie mit dem leeren, stumpfen Blick der Entsagung in die Welt hinausblickten.
    In den allermeisten Fällen war es schwierig, Männer und Frauen zu unterscheiden; ihre sterbliche Hülle, ein nie versiegender Quell der Schande, war unter formlosen, weiten Gewändern verborgen, wie sie die Priester des Ordens trugen. Als weiteres Spiegelbild der Ordenslehren wurden nur die Sünder hüllenlos gezeigt, damit ein jeder ihre verabscheuungswürdigen, von Geschwüren zerfressenen Körper sehen konnte.
    Die bildhauerischen Arbeiten zeigten den Menschen als hilfloses Geschöpf, durch die Unzulänglichkeit seines Geistes dazu verdammt, jeden Schlag des Schicksals klaglos hinzunehmen.
    Die meisten Bildhauer, vermutete Richard, hatten Angst, verhört oder gar gefoltert zu werden, und wiederholten daher nimmermüde die Auffassung, der Mensch müsse in Übereinstimmung mit seinem verruchten Wesen in Stein gehauen werden, da er sich nur so mit dem Tod seinen gerechten Lohn verdienen konnte. Die Bildnisse hatten den Zweck, den Massen vor Augen zu führen, dass dies das einzig schickliche Ziel war, auf das der Mensch hoffen durfte. Richard wusste, dass einige der Bildhauer geradezu inbrünstig von der Richtigkeit dieser Lehren überzeugt waren. Er nahm sich stets in Acht, was er in ihrer Gegenwart sagte.
    »Wirklich, Richard, ich wünschte, du könntest die wirklich schönen Statuen sehen, statt dieses bedrückenden Mists, den man heute produziert.«
    »Ich habe bereits Statuen von großer Schönheit gesehen«, versicherte Richard dem Mann mit leiser Stimme.
    »Tatsächlich? Das freut mich. Das ist es, was die Menschen sehen sollten, und nicht diese, diese« – er deutete auf die stetig in die Höhe wachsenden Mauern des Ruhesitzes – »Gottlosigkeit im Gewand der Güte.«
    »Und, wirst du auch eines Tages ein solches Werk der Schönheit bildhauern?«
    »Ich weiß es nicht, Richard«, gestand er schließlich. »Der Orden reißt alles an sich. Dort heißt es, der Einzelne sei ohne Bedeutung, es sei denn, er kann zum Wohle aller beitragen. Sie nehmen das, was Kunst sein kann – das Herzblut der Seele – und verwandeln es in ein tödliches Gift.«
    Victor lächelte versonnen. »Wie die Dinge derzeit stehen, kann ich mich nur an der Statue im Innern des Steins erfreuen.«
    »Ich verstehe, Victor – wirklich. Wie du sie jetzt beschreibst, sehe ich sie ebenfalls vor mir.«
    »Dann werden wir uns beide an meiner Statue erfreuen, so wie sie jetzt ist.« Victor löste seine Hand vom Stein und deutete auf den Sockel. »Übrigens, siehst du das, da unten? Dort hat der Stein einen Fehler; er zieht sich der Länge nach hindurch. Nur deswegen habe ich mir dieses Stück Marmor überhaupt leisten können – weil es diesen Makel aufweist. Die meisten, die versuchen würden, den Stein zu behauen, würden ihn gefährden. Wenn man es nicht genau richtig macht und den Fehler berücksichtigt, kann der ganze Quader zersplittern. Ich habe mir nie recht vorstellen können, wie ich diesen Stein behauen muss, um seine Schönheit voll zur Geltung zu bringen und seinen Makel gleichzeitig zu umgehen.«
    »Vielleicht fällt dir eines Tages noch ein, wie du den Stein behauen musst, um etwas wirklich Erhabenes zu schaffen.«
    »Erhabenheit. Ach, das wäre doch etwas – die höchste Form der Schönheit.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich werde es nicht tun. Jedenfalls nicht, bevor die Rebellion kommt.«
    »Die Rebellion?«
    Victors Blick glitt vorsichtig durch die offene Tür und über den Hang. »Die Rebellion, eines Tages

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