Schwester der Finsternis - 11
hielt es für angebracht, die Ordensbrüder zu beschützen. Richard warf sich mitten unter sie und traf mit jedem Hieb. Jeder Hieb oder Stoß ließ einen Soldaten niedersinken.
Aber es waren nicht die Gardisten, denen Richards Hauptinteresse galt. Wenn er schon alles verlieren würde, dann wollte er zum Ausgleich wenigstens Bruder Narevs Kopf. Als er sich durch das Chaos der auf den Platz stürmenden Menschen wühlte, war Bruder Narev nirgends zu entdecken.
Victor löste sich aus dem Handgemenge, einen Ordensbruder an den Haaren zerrend. Der stämmige Schmied hatte eine so finstere Miene aufgesetzt, dass man Eisen damit hätte biegen können. Der Ordensbruder verdrehte die Augen, als wäre er auf den Kopf geschlagen worden und hätte Mühe, wieder zur Besinnung zu kommen.
»Richard!«, brüllte Victor.
Die Männer, von denen einige noch immer das braune Gewand des Bruders gepackt hielten, stürzten jetzt von allen Seiten auf Richard zu, einen zehn oder fünfzehn Mann starken Schutzring um ihn herum bildend.
»Was sollen wir mit ihm machen?«, wollte einer von ihnen wissen.
Richard erfasste die Menschen um ihn herum mit einem schnellen Blick. Er sah Arbeiter, die er von der Baustelle her kannte: Priska war unter ihnen, auch Ishaq.
»Wieso fragt ihr mich? Das ist eure Revolte.« Er blickte den Männern herausfordernd in die Augen. »Was meint ihr, solltet ihr mit ihm machen?«
»Sag du es uns, Richard«, rief einer der Bildhauer.
Richard schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr werdet mir jetzt sagen, was ihr mit ihm zu tun beabsichtigt. Aber eins solltet ihr wissen: Dieser Mann ist ein Zauberer. Wenn er wieder zu sich kommt, wird er anfangen, Menschen umzubringen. Dies ist eine Frage auf Leben und Tod, und er weiß das. Wisst Ihr es auch? Ist euch das wirklich vollkommen klar? Hier geht es um euer Leben. Ihr müsst entscheiden, was ihr tun wollt, nicht ich.«
»Diesmal wollen wir dich auf unserer Seite haben, Richard«, rief Priska. »Aber wenn du dich uns immer noch nicht anschließen möchtest, dann werden wir uns unser Leben zurückholen und diese Revolte durchführen – auch ohne dich. Genau so wird es geschehen!«
Mit den geballten Fäusten drohend, pflichteten ihm die Männer lautstark bei.
Victor zog den benommenen Ordensbruder an seine Brust und verdrehte ihm mit einem Ruck den Kopf, bis sein Genick brach. Der erschlaffte Körper glitt zu Boden.
»Und das ist es, was wir mit denen hier zu tun beabsichtigen«, erklärte Victor.
Richard reichte ihm lächelnd die Hand. »Ich bin stets erfreut, einem freien Mann zu begegnen.« Sie fassten sich bei den Unterarmen, und Richard sah Victor in die Augen. »Ich bin Richard Rahl.«
Erst blinzelte Victor fassungslos, dann folgte sein dröhnendes, aus dem Bauch kommendes Lachen. Mit seiner freien Hand versetzte er Richard einen Klaps gegen die Schulter.
»Aber klar doch! Wir alle sind er. Einen Augenblick hattest du mich fast reingelegt, Richard. Ehrlich.«
Das Geschiebe der Menge drängte sie zurück, hinüber zu den Säulen. Richard langte nach unten, packte das Gewand des toten Ordensbruders und schleifte die Leiche mit. Die Ansammlung aus sich hoch auftürmenden Mauern und Marmorsäulen bot einen gewissen Schutz vor dem Ansturm der tobenden Masse.
Der Boden erzitterte. Eine Explosion aus dem Inneren des Palastes sprengte ein Loch in die Mauer, ein Lichtblitz zerriss die Dunkelheit, Steinsplitter segelten pfeifend durch die Luft. Dutzende blutüberströmter Menschen wurden zurückgeschleudert.
»Was war das?«, rief Victor über den Lärm aus Schreien und Gebrüll und dem Getöse der Explosion hinweg.
Die Gefahr ignorierend, setzte die Menge ihren Ansturm gegen die Männer fort, die sie zu Sklaven gemacht hatten. Scharen von Menschen drängten sich um die Stelle, wo die Statue gestanden hatte, und sammelten Marmortrümmer auf. Erst legten sie ihre Finger an die Lippen, dann ihre Finger auf die Worte auf der Rückseite des umgestürzten Bronzerings. Sie trafen damit eine Entscheidung für das Leben.
Horden von Menschen hatten mehrere Ordensbrüder und Beamte gefangen genommen und waren dabei, sie mit weißen Marmorbrocken aus den Trümmern der Statue zu lynchen.
»Bruder Narev ist ein Hexenmeister«, gab Richard zu bedenken. »Du musst einige dieser Männer organisieren und diesen Mob unter Kontrolle bringen. Narev ist im Stande, mächtige Magie einzusetzen. Ich finde es lobenswert, dass die Menschen ihrem Drang nach Freiheit nachgeben, aber wenn wir das
Weitere Kostenlose Bücher