Schwester der Finsternis - 11
gleißend hellen Lichtblitze verblasst, lief er rasch weiter in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Es gab Meilen über Meilen von Fluren im Palast. Einige führten hinaus in offenes, noch unbebautes Gelände, andere verliefen zwischen oben offenen Mauern, wieder andere bohrten sich, abgedeckt durch darüber liegende Stockwerke oder Dächer, durch völlige Dunkelheit. Dem Tosen der durch Zauberei erzeugten Flammen folgend, stieg Richard über Treppen in völlige Finsternis hinunter in den unterirdisch gelegenen Teil des Palastes.
Unterhalb des Hauptgeschosses befanden sich ganze Systeme weit verzweigter und miteinander verbundener Räumlichkeiten, die aus einem verwirrenden Netzwerk von Kammern und engen Gängen bestanden. Durch dieses Labyrinth aus dunklen Räumen stürzte er, er stieg durch Löcher in nicht fertig gestellten Wänden und leere Türöffnungen, als er plötzlich auf einen mit einem Überwurf bekleideten Mann mit einem Schwert stieß. Er hielt es für äußerst unwahrscheinlich, dass jemand von der Bevölkerung bewaffnet war.
Der Mann wirbelte, das Schwert voran, herum, aber da Richard sich mit einem Ordensgewand verkleidet hatte, wusste er, dass der Mann nicht unbedingt ein Feind sein musste.
In einem Aufblitzen des Mondlichts erblickte Richard zu seiner völligen Verblüffung das Schwert der Wahrheit hinter der Schulter dieser Person. Es war Kahlan.
Vor lauter Schreck konnte er sich nicht rühren.
Sie dagegen sah nur eine Gestalt in einem braunen Gewand – einen Ordensbruder – in einem Strahl des Mondlichts stehen, da die Kapuze sein Gesicht im Schatten ließ.
Im selben Augenblick, noch bevor er ihren Namen rufen konnte, sah er über Kahlans Schulter, wie jemand auf sie zugelaufen kam – Nicci.
In diesem einen entsetzlichen, schwer fassbaren Augenblick erkannte Richard, was er tun musste. Es war seine – und Kahlans – einzige Chance freizukommen.
In diesem kristallklaren Augenblick des Begreifens durchfuhr ihn ein Gefühl entsetzlicher Angst. Er wusste nicht, ob es ihm gelingen würde.
Es musste.
Richard zog sein Schwert und wehrte Kahlans Stoß ab.
Und dann attackierte er.
Er trieb sie mit kontrollierter Gewalt vor sich her, sorgfältig darauf bedacht, sie nicht zu verletzen. Wie sie kämpfte, wusste er; er wusste es, weil er es ihr selbst beigebracht hatte. Er spielte die Rolle eines ungeschickten, aber vom Glück begünstigten Widersachers.
Nicci kam näher.
Richard konnte es unmöglich länger hinausziehen; er musste genau den richtigen Augenblick erwischen. Er wartete, bis Kahlan ein wenig aus dem Gleichgewicht geriet, um ihr Schwert dann mit einem wuchtigen Schlag in der Nähe des Handschutzes zu treffen. Erschrocken schrie sie auf, als ihr das Schwert aus der Hand flog und der Hieb sie, genau wie von ihm beabsichtigt, herumwirbeln ließ.
Sie zögerte keinen Moment. Ohne innezuhalten und noch in der Drehung langte sie mit der Hand nach oben und zog das Schwert der Wahrheit blank. Die Luft hallte wider von dem ihm so vertrauten, einzigartigen Klirren des Stahls.
Die Klinge voran, wirbelte Kahlan herum. Für den Bruchteil einer Sekunde gewahrte er den entsetzlichen, unbändigen Zorn in ihren Augen. Es schmerzte ihn, ihn in Kahlans wunderschönen Augen zu sehen, wusste er doch, was der Zorn aus einem Menschen machen konnte.
Richard trat ein in eine ganz eigene Welt der Empfindungslosigkeit; er wusste, was er zu tun hatte, spürte keinerlei Regung. Hoch abwehrend kontrollierte er ihren Angriff und bestimmte, wohin sie die Klinge richten sollte. Er musste sie dazu bringen, genau dorthin zu zielen, wo er es beabsichtigte, wenn er eine Chance haben wollte.
Mit zusammengebissenen Zähnen stieß Kahlan ihr Schwert in die Bresche, die er ihr absichtlich gelassen hatte.
Kahlan befand sich in einem Zustand unbeherrschbaren Zorns. Im selben Augenblick, da sie das Heft ergriff, durchflutete das Schwert der Wahrheit sie mit blinder Raserei. Nichts auf der Welt war süßer als die Gewissheit, dass sie mit ihm töten würde; auch die Waffe verlangte Blut.
Diese Leute hatten Richard in ihrer Gewalt. Diese Ordensbrüder hatten ihr Leben verdorben; sie hatten Mörder in ihre Heimat entsandt. Und sie hatten Meuchelmörder geschickt, um Warren niederzustechen.
Jetzt hatte sie einen von ihnen vor sich.
Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum, sie schrie vor Zorn, schrie in ihrer Gier nach Blut. Es war ein herrliches Gefühl, das Opfer des eigenen vollkommenen Zorns so greifbar nahe
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