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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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trüben Licht, das durch die geöffnete Tür ins Wageninnere drang, wirkte er nicht mehr so entschlossen wie noch vor wenigen Minuten, vielmehr angespannt und nervös. »Er wird Sie über alles Wichtige informieren. Er unterliegt Ihren Anweisungen.« Er schüttelte den Kopf mitleidig. »Es tut mir Leid. Es ging nicht anders. Ich kann Lacie nicht mehr von dem Fall abziehen. Er steckt zu tief drin. Aber ich mache mir seinetwegen Sorgen. Sie müssen ihn im Auge behalten. Unbedingt.«
    Cato verließ den Wagen ohne ein weiteres Wort. Der Sekretär des Bischofs wandte sich von den Taschen ab, die im Straßenmatsch standen, umrundete den Wagen und klemmte sich hinters Steuer. Nachdenklich verfolgte Cato, wie die Limousine im dichten römischen Nebel verschwand. Dann stopfte er die Akten in seine Reisetasche, ergriff den Koffer und machte sich auf den Weg zurück ins Terminal.
     
     
    Berlin
     
    Vielleicht war es Ken. Oder Chris. Möglicherweise seine Großmutter. Sie hatte Philip am Morgen, nach dem kurzen Wortwechsel am Potsdamer Platz, so schnell wieder verlassen, wie sie aufgetaucht war, noch bevor die Polizei ihn abgeführt hatte.
    Als Rotschopf ihn jetzt in Handschellen in das Besucherzimmer schob, konnte Philip seine Verwunderung nicht verbergen. Er drehte sich zu dem Polizisten um, der die Tür verriegelte und sich mit ernster Miene davor postierte. Hier musste ein Irrtum vorliegen. Er wollte gerade nachfragen, als er den Mann in der schwarzen Soutanelle fragen hörte: »Philip Hader?«
    Die Stimme des Priesters klang heiser und brüchig. Sein Gesicht war weinrot gesprenkelt, auf seinen Wangen waren Aderchen unter der Haut aufgeplatzt. Seinem Haar dagegen fehlte jede Farbe; schlohweiß fiel es in ungekämmten Büscheln über seine Ohren.
    »Sie wollen mich sprechen?«, fragte Philip ungläubig.
    Der Mann war sichtlich verlegen, schien nicht recht zu wissen, wie er das Gespräch eröffnen sollte. »Mein Name ist Jakob Kahlscheuer.«
    Philip kramte in seinem Gedächtnis, doch der Name wollte keine Erinnerung wecken. Er konnte sich nicht daran entsinnen, für den Kurier Fotos von Geistlichen gemacht zu haben. Er selbst hatte nie viel für den Klerus übrig gehabt, nicht seit dem Sand, den Spinnen und all den anderen Streichen in dem Heim, in dem er aufgewachsen war. Junge, das war doch nur ein Scherz, hatten die Betreuer beschwichtigt. Und der Pastor, der jeden Sonntag zur Messe gekommen war, hatte gütig dazu gelächelt. Sind sie nicht lieb, unsere Schäfchen?
    Zögernd ließ er sich auf dem Stuhl gegenüber dem Priester nieder. Die Kette zwischen den Handschellen klingelte leise wie ein Windspiel. »Wir kennen uns nicht, oder?«
    »Ich bin ein…«, der Fremde zögerte, »… Freund Ihrer Großmutter.«
    Philips Aufmerksamkeit erwachte augenblicklich. »Wo ist sie? Warum kommt sie nicht selbst?«
    Kahlscheuer stockte. »Es geht ihr nicht gut.«
    Etwas in seiner Stimme ließ Philip abermals aufhorchen. »Ist sie krank?«
    »Sie ist im Hospital. Sie…«
    »Was ist passiert?«
    »Sie hatte einen Herzinfarkt. Heute Morgen. Man hat sie auf die Intensivstation des Jüdischen Krankenhauses gebracht. Es geht ihr nicht gut.« Anscheinend wollte er, indem er die Aussage wiederholte, den Ernst der Lage hervorheben.
    »Was heißt das?« Ein Kloß drückte in Philips Hals.
    Kahlscheuer presste die Lippen aufeinander. Schließlich sagte er: »Ihre Großmutter schläft…«
    »Sie schläft?« Das konnte heißen: Sie ist im Sessel für ein Stündlein eingeschlafen, nachdem sie ihren Tee getrunken hat. Oder auch: Sie ist tot Hieß es nicht immer, jemand sei ›entschlafen‹?
    »Nein«, korrigierte Kahlscheuer. »Als ich Ihre Großmutter verlassen habe, war sie am Ende ihrer Kräfte. Sie ist nicht mehr bei Bewusstsein.«
    »Das kann nicht sein!«, stieß Philip hervor.
    Kahlscheuer strich sich mit einer fahrigen Bewegung über seinen Priesterrock, obwohl es da keine Falten zu glätten gab. »Wenn es der Wille des Herrn…«
    »Hören Sie auf!«, fauchte Philip. »Kommen Sie mir nicht mit Bibelformeln.« Leiser fügte er hinzu: »Es ist einfach nicht fair.«
    Er sah über die Schulter des Priesters hinweg auf den Parkplatz, der das Polizeigebäude von der Otto-Braun-Straße trennte. Der Verkehr strebte trotz der winterlichen Verhältnisse seinem täglichen Höhepunkt entgegen. Eine Straßenbahn rumpelte vorbei. Die Freiheit war nicht weit entfernt. Es lagen nur das Fensterglas und ein schweres Eisengitter dazwischen. Wenn
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