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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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Schule, in der Kinderstimmen einen Reim gesungen hatten, der etwas in ihrem Gedächtnis auslöste, eine Schule, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb war.
    Je mehr sie erzählte, umso unwahrscheinlicher klangen die Ereignisse in ihren eigenen Ohren. Ich habe mir das alles nur eingebildet! Mein Verstand spielt verrückt. Kein Wunder, nach allem!
    Angela folgte den Schilderungen, ohne zu unterbrechen, ihre Miene drückte weder Zweifel noch Unverständnis aus, und als Beatrice schließlich schwieg, nickte sie. »Ich habe immer gewusst, dieser Tag würde kommen.«
     
     
    Rom
     
    Wer an diesem Nachmittag einen Blick in die kleine Gasse unweit der Piazza Nivona geworfen hätte, hätte durchaus etwas Merkwürdiges beobachten können: Von einem Augenblick zum anderen tauchten mehrere geistliche Würdenträger aus allen Himmelsrichtungen auf, strebten einem schmalen Hauseingang zu und verschwanden darin, nachdem auf ihr Klopfen die Tür geöffnet wurde. Zwar bedeutet der Anblick von Geistlichen in Rom nichts Ungewöhnliches, doch dass mehrere Würdenträger sich zur gleichen Zeit in einer winzigen Gasse versammelten, noch dazu bei dichtem Schneefall, der seit einigen Stunden niederging, hätte bei zufälligen Beobachtern mit Sicherheit für Befremden gesorgt.
    Doch niemand beobachtete die Szene, die Gasse war nahezu unbewohnt, die Wasserleitungen gekappt, Strom funktionierte nur noch in wenigen der Häuser. Sie lag ein ganzes Stück abseits der Hauptverkehrsstraßen, der Zugang war über verschiedene verwinkelte Wege möglich. Jeder der Kardinäle, Bischöfe und Prälaten, auch der Dekan und der Abt, wählte einen anderen Weg, weshalb das Aufeinandertreffen der illustren Schar wie so viele Male zuvor unentdeckt blieb.
    »Meine Herren…« Bischof de Gussa pochte mit seinem schweren Ring auf den wackeligen Holztisch, und die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich auf ihn. »Sie wissen von dem jungen Mann, den wir all die Jahre über gesucht haben.«
    »Philip Hader«, murmelte ein Prälat von der anderen Seite des Tisches.
    »Er ist gefunden worden. Schön. Das haben Sie aber schon bei unserem letzten Zusammentreffen verkündet«, warf Boris Garnier ungeduldig ein. Er rieb sich sein Kniegelenk, das noch einige Tage länger auf eine Operation warten musste.
    »Richtig«, pflichtete ihm de Gussa bei. Innerlich ärgerte er sich über den Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, der sich in den letzten Tagen zunehmend ungehaltener zeigte. »Und Sie wissen auch, dass wir schon lange die Vermutung hatten, der Junge könnte möglicherweise nicht allein sein.«
    »Ach, hören Sie doch auf«, schimpfte Garnier.
    »Sie hatten die Vermutung«, stellte Giaccomo Lorenzini klar, Prälat aus Turin und Nachfahre des italienischen Schriftstellers Carlo Collodi, aus dessen Feder Pinocchio stammte. »Es hat nie einen wirklichen Hinweis gegeben, der diese Annahme gestützt hätte.«
    »Oder reden Sie etwa von der alten Frau?«, fragte Monsignore Mundaste aus Südafrika, der dunkelhäutige Bischof mit dem niederländischen Akzent. »Das hatten wir doch schon. Ersparen Sie es uns also. Sie hat uns wie erhofft zu dem Jungen geführt, auf ihn sollten wir unser Augenmerk richten.«
    De Gussa ließ sich nicht anmerken, wie wütend ihn die Bemerkungen der Anwesenden machten. Bedächtig hob er die Hand. »Nein, davon rede ich nicht. Ich rede davon, dass es neben dem Jungen noch eine weitere Person gibt, die für uns von Bedeutung sein könnte.« Er machte eine Pause, bevor er weiter sprach: »Und jetzt…« Er dehnte die Worte. Die Runde schwieg gespannt. »Jetzt bin ich mir sicher, dass er nicht alleine ist. Erst jetzt werden wir dem Achat tatsächlich näher kommen.«
    Ein Raunen eilte durch den Raum. Es reichte von Erstaunen über Zweifel bis zu offener Empörung.
    »Ach kommen Sie!«, rief Garnier.
    »Die Bücher…«, murmelte Antonio Capote, der Prälat aus Venedig, ehrfurchtsvoll.
    Jürgen Launitzer, Erzbischof aus Köln, hüstelte missbilligend. Seit ihrem letzten Aufeinandertreffen waren tiefere Falten in sein Gesicht getreten. Seine Hüfte bereitete ihm sichtlich Schmerzen. Nicht mehr lange, und eine Operation würde unvermeidlich sein. »Wir wollten doch nicht mehr darüber…«
    Lorenzini fuhr ihm ins Wort. »Warum sollten wir nicht darüber reden? Machen wir uns doch nichts vor: Ohne das Achat werden wir die Bücher niemals vollständig entschlüsseln können.«
    Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Raum.
    »Vielleicht
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