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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Glatze, blickte von einer Illustrierten auf. Wenigstens kein Kurier von gestern. »Biste Anjehöriger?«, fragte er.
    »Nein«, entgegnete Philip wahrheitsgemäß und gab seiner Stimme einen besorgten Unterton. Er bemühte sich, möglichst überzeugend zu wirken. »Ich war derjenige, der die Frau entdeckt und den Notarzt gerufen hat. Es war wirklich schrecklich. Ich habe versucht erste Hilfe zu leisten. Das hat mich ziemlich mitgenommen.«
    Wegener schien abzuschätzen, ob er diesem Relikt der Flowerpower-Bewegung mit dem Blumenstrauß in den Händen Glauben schenken sollte.
    Philip schwitzte Blut und Wasser unter seiner Strickmütze. »Ich konnte diese Nacht kaum schlafen.« Seine Stimme wurde brüchig. Übertreib es nicht. »Die Frau tat mir so Leid. Ich wollte mich nur erkundigen, wie es ihr geht.«
    Das Gesicht des Pförtners erhellte sich. »Dit find ick aba jut von dir, meen Junge.«
    Er griff zu einem Aktenordner und warf einen Blick hinein. »Eene ältere Dame mit Herzinfarkt, sagteste?«
    Philip bejahte.
    »Jestern Morjen also?« Wegener beugte sich über die Liste und nickte. »Ja, die is hier. Jestern Morjen einjeliefert.«
    Und? Wie heißt sie? Wo ist sie? Philip zwang sich zur Ruhe. »Geht es ihr gut? Kann ich sie besuchen?«
    Der alte Mann verzog mitleidig das Gesicht. »Frau Berder liecht auf der Intensivstation. Da kannste leider nich hin.« Er deutete auf die Wegweiser zur linken Hand. »Besuchszeit nur zwischen 17 und 18 Uhr.«
    Philip hielt die Blumen hoch. »Kann ich die hier wenigstens abgeben?«
    »Ick gloob nich, datte dit darfst. Blumen sin’ auf der Intensivstation nich erlaubt. Von wejen de Krankheitserrejer.«
    »Vielleicht kann ich sie den Schwestern geben, die sie im Besucherzimmer aufstellen?«
    »Et gibt kein Besuchszimmer auf der Intensivstation.«
    »Dann woanders.«
    Pförtner Wegener zuckte die Achseln. »Kannste versuchen.« Er wies in den Flur rechter Hand. »Diesen Gang lang, dann links und noch mal links.« Er rieb sich die Nase. »Warte, du sachtest… Herzinfarkt? Nee, dat is nich links, sondern beim zweiten Mal rechts.«
    Philip bedankte sich und lief zu dem Gebäudetrakt, in dem also seine Großmutter lag. Frau Berder. Beinahe war er enttäuscht. Nach allem hatte er einen außergewöhnlichen Namen erwartet. Irgendwas Imposantes. Berder dagegen klang so… gewöhnlich. Der Sache überhaupt nicht angemessen.
    Aber darauf kam es nicht an. Wichtig war nur, seiner Oma gegenüberzustehen. Die Chance zu bekommen, mit ihr zu sprechen. Allerdings musste er dazu auch noch die letzte Hürde nehmen. Genau genommen waren es sogar zwei: Der Trakt der Intensivstation war vom Rest des Krankenhauses durch eine Schleuse getrennt, auf deren beiden Seiten sich große Milchglastüren befanden.
    Als er um die Ecke bog, bekam er gerade noch mit, wie ein Besucherpärchen die erste Tür hinter sich ließ und sich in dem schmalen Sicherheitsschlauch in grüne Kittel zwängte. Dann fiel die Tür zurück ins Schloss.
    Neben der Tür war ein Klingelknopf. Philip betätigte ihn. Es dauerte eine Weile, bis eine Stimme aus der Gegensprechanlage ertönte. Sie klang gehetzt: »Ja, bitte?«
    Philip beugte sich vor zu dem kleinen Mikrofon. »Ich möchte gerne zu…«, er atmete durch, »… Frau Berder.«
    »Sind Sie mit ihr verwandt?«
    »Ich bin ihr Enkel.«
    Ein Summer ging, und die Tür sprang auf. Strike! Er betrat die Schleuse. An der Wand waren Kleiderhaken angebracht, an denen grüne Kittel und jeweils ein ebenso grüner Mundschutz für Besucher aufgereiht hingen. Weiter vorne, neben der zweiten Tür, die in die Krankenstation führte, hatte man ein kleines Waschbecken mit Desinfektionsmittelspender montiert.
    Die zweite Tür öffnete sich, und eine hagere von den Anstrengungen der letzten Nacht gezeichnete Krankenschwester trat hindurch. Sie trug einen grünen Kittel, den Mundschutz hatte sie unter ihr Kinn geklemmt. Das schüttere Haar war zu einem Zopf gebunden. Mit einer Hand nestelte sie nervös an dem Haargummi, während die andere die Tür einen Spalt offen hielt. Ihre Augen blickten argwöhnisch auf die Blumen.
    »Sie sind Ihr Enkel?« Sie sprach mit einem osteuropäischen Akzent.
    »Ja. Philip Hader.«
    »Es tut mir Leid, Herr Hader. Der Zutritt ist nur den allernächsten Angehörigen erlaubt.«
    »Sie hat sonst niemanden mehr.«
    »Das mag sein, aber…«
    »Oder war schon jemand da?«
    »Nein«, beschied sie ihm knapp, während ihre Finger die grüne Maske richteten.
    Das stimmte nicht. Es

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