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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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bemessen…«
    »Da haben wir etwas gemeinsam«, warf Berger ein.
    »… aber wir hätten uns gerne mit Herrn Hader unterhalten.«
    »Wir?«
    »Nun, der Vatikan…«
    »Ich finde das sehr ungewöhnlich«, unterbrach ihn der Kommissar abermals. Er musterte den bleichen narbengesichtigen Mann aufmerksam.
    »Inwiefern?«, begehrte Lacie zu wissen.
    »Vergessen Sie es«, sagte Berger. »Ich würde Sie gerne zu dem Jungen vorlassen. Schließlich muss ich ja nicht befürchten, dass ein Vertreter der Kirche Böses im Schilde führt.« Er trug ein dünnes Lächeln zur Schau. »Aber trotzdem geht es nicht.«
    Lacie neigte seinen Kopf. »Darf ich fragen, weshalb?«
    Berger beugte sich vor. »Sie dürfen.« Lacie blickte ihn erwartungsvoll an. Doch der Kommissar schwieg. Draußen klingelte warnend eine Straßenbahn; ein Hubschrauber flog mit monotonem Rattern direkt über das Polizeigebäude hinweg. Erst als die Geräusche verklangen, fuhr Berger fort: »Ich würde Sie gerne zu Herrn Hader vorlassen. Aber er ist nicht mehr bei uns.«
    »Wo ist er?«, fragte Lacie.
    Bergers Oberkörper ruckte zurück. »Das wüssten wir auch gerne. Er ist geflohen.«
    »Der Junge ist geflohen?« Lacies Stimme schwoll an.
    »Ja, ja«, erwiderte Berger gereizt. »Fragen Sie mich nicht, wie er das geschafft hat. Wir wissen es nicht. Es ist, als wäre er…« Er zwirbelte seinen Bart und begnügte sich mit der Bemerkung: »Die Ermittlungen laufen.« Sein Blick wanderte von Lacie zum Fenster und zurück. »Nachdem ich nun Ihre Neugier befriedigt habe, hätte ich auch gern einige Antworten.«
    »Aha?«
    »Ja«, antwortete Berger und lief um den Schreibtisch herum. Langsam ließ er sich auf seinem Stuhl nieder. »Ich bin begierig zu erfahren, welches besondere Interesse die Kirche an dem Jungen hat. Erst der Kollege gestern Morgen, und jetzt Sie. Noch dazu direkt aus dem Vatikan. Für einen jungen Mann, der des Mordes verdächtigt wird, finde ich das sehr merkwürdig. Finden Sie nicht?«
    Lacie zuckte die Achseln.
    Bergers Bart wölbte sich. »Vielleicht wären Sie so freundlich und verraten mir, weshalb Sie den Jungen sprechen möchten?«
    »Es geht um die Großmutter des Jungen.«
    »Unseren Erkenntnissen zufolge hat Herr Hader keine weiteren Angehörigen.«
    »Das ist so nicht ganz richtig.«
    »Natürlich, ich vergaß, er hat einen Vater. Aber auf den ist er seit einigen Jahren schon nicht mehr gut zu sprechen.«
    »Richtig. Und dann ist da noch seine Großmutter. Sie liegt im Sterben.«
    »Und deshalb schickt Sie der Vatikan?«
    »So könnte man es sagen.«
    Berger legte die Stirn in Falten. Er war nicht überzeugt. Trotzdem sagte er: »Dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
    Er reichte ihm die Hand, und Lacie verließ das Gebäude. Erst als er draußen auf dem Bürgersteig stand und die vorbeirauschende Straßenbahn ihm den Schnee ins Gesicht blies, stieß er einen wütenden Schrei aus.
    Verflucht, er hatte alles so geschickt eingefädelt – und jetzt drohte ihm sein Plan zu entgleiten. Sein eigener Plan. Die Geheimniskrämer vom Offizium wären in heller Aufregung gewesen, wenn sie davon gewusst hätten. Der Gedanke daran, wie er es diesen Wichtigtuern endlich einmal zeigen würde, heiterte ihn etwas auf. Nur gut, dass Cato gerade in London war.
     
     
    Berlin
     
    Der Pfaffe hatte nicht gelogen. Nein, er hatte untertrieben. Es sah gar nicht gut aus.
    In den zurückliegenden Tagen war Philip seiner Großmutter zweimal begegnet. Aber der Anblick jetzt bestürzte ihn. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst: Die Haare beinahe schlohweiß, in strohigen Büscheln lagen sie auf dem Kissen. Die Wangen sahen eingefallen und wächsern aus. Ihr Körper ausgemergelt und dürr. Als er sie zum ersten Mal auf dem Ku’damm gesehen hatte – Wann war das gewesen? Montag! –, hatte er an den leibhaftigen Tod denken müssen. Jetzt wusste er: Der Tod hielt sie tatsächlich in seinen Krallen.
    Sie verschwand nahezu zwischen den unzähligen medizinischen Geräten, an denen sie angeschlossen war. Philip hatte keine Ahnung, was das Surren und Fiepen der Geräte zu bedeuten hatte. Aber er ahnte, dass die Ärzte mit ihrer Hilfe den Zustand von Herz, Kreislauf und Lunge, Blutdruck, Sauerstoffgehalt, Atmung und Körpertemperatur beobachten, die Funktionen von Organen unterstützen und erforderliche Medikamente exakt dosieren konnten.
    Aus aufgehängten Plastiksäcken floss eine klare Flüssigkeit durch Schläuche, die in einer Vene an ihrem

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