Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
wird sich zeigen«, schränkte Cato ein. »Deswegen sind wir hier. Wir würden gerne mit Ihrer Freundin sprechen. Beatrice war ihr Name, oder?«
    »Ja.«
    Erwartungsvoll sah Cato ihn an. Als er keine Antwort bekam, fragte der Geistliche: »Und?«
    »Sie ist nicht hier. Sie ist…« Er zauderte. Cato hob die linke Augenbraue. Paul wusste nicht, inwieweit er ihn ins Vertrauen ziehen konnte. Sicher, er war ein Priester, direkter Abgesandter des Vatikans noch dazu, trotzdem war er ein Fremder für ihn.
    Cato schien seine Zweifel zu spüren. »Natürlich müssen Sie mir nicht verraten, wo Ihre Freundin sich aufhält. Das kann ich verstehen. Aber vielleicht können Sie ihr sagen, dass ich die weite Reise aus Rom angetreten habe, um mit ihr zu sprechen, so wie ich in diesem Augenblick mit Ihnen spreche. Ich will erfahren, was mit ihr passiert ist. Gerade für uns, Vertreter einer Glaubensgemeinschaft, deren zentrale Themen das Leben im Diesseits und das nach dem Tod sind, ist es von ungeheuerer Wichtigkeit, mehr darüber zu erfahren. Jeder Hinweis kann von großer Bedeutung für uns sein.«
    »Das verstehe ich«, sagte Paul.
    »Dann verstehen Sie sicherlich auch, wie wichtig es für uns ist, mit Ihrer Freundin zu reden. Wir haben nur selten die Möglichkeit, mit Menschen zu sprechen, die…«, wieder hielt er kurz inne, »die auf der anderen Seite waren und wieder zurückgekehrt sind zu uns, zu den Lebenden.«
    Zurückgekehrt. Paul schnaufte. Schön wäre es gewesen. »Sie hat ihr Gedächtnis verloren«, sagte er, und die Verbitterung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Sie kann sich an nichts mehr erinnern.«
    »An gar nichts?«
    »Nein«, bestätigte Paul.
    »Das tut mir Leid«, sagte Cato. »Das ist sicherlich schwer für Sie beide?«
    Paul nickte dankbar. In ihm keimte eine neue Hoffnung. Wenn er Beatrice nicht zu helfen vermochte, vielleicht würde es ein Priester können. Er war ein Mann Gottes. Immerhin, Beatrice war auf Lindisfarne aufgewachsen, der heiligen Insel.
    »Also gut«, klatschte Cato in die Hände. »Wenn Sie mir sonst nichts sagen können, dann muss ich leider…« Er ließ den Satz unvollendet. Er blickte Paul durchdringend an. Paul glaubte unter diesem Blick zu schrumpfen.
    »Sie ist an die Küste gereist«, erklärte er schließlich. »Nach Lindisfarne. Dort ist sie aufgewachsen. Sie hofft, dass sie dort ihre Erinnerung wiederfindet.«
    »Lindisfarne?« Cato verzog überrascht sein Gesicht. Dann entspannte es sich. »Ich verstehe…«
    »Sie verstehen?« Paul sah den Pater an. Der Geistliche kaute Kaugummi. Ihm fiel auf, dass Cato trotz seiner Ankündigung keine Anstalten machte zu gehen. Und dass er seine Handschuhe nicht abgelegt hatte.
     
     
    Berlin
     
    Es war 9 Uhr in der Früh, als Philip Kens Wohnung verließ. Das Großstadtleben erwachte, wenn auch zögerlich, denn der anhaltende Schneefall wirkte wie eine Bremse auf den Alltag der Menschen. Die Passanten stelzten vorsichtig, mit wärmenden Parkas und Wollmützen bis zur Unkenntlichkeit vermummt, über die verschneiten Gehsteige. Autos schoben sich auf dem glatten Asphalt wie in Zeitlupe an ihnen vorbei. Straßenbahnen standen ganz still, wenn wieder irgendwo ein LKW ins Rutschen geraten war und die Schienen blockierte.
    Mit der U-Bahn-Linie 8 fuhr Philip nach Wedding, wo das Jüdische Krankenhaus lag. Er überlegte, wie er seiner Großmutter am besten gegenübertreten konnte. Welche Fragen er ihr stellen würde. Vielleicht kam es aber auch gar nicht dazu, denn Kahlscheuer, der Priester, hatte gesagt, sie wäre bewusstlos.
    Es brachte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Also ließ er es bleiben und lauschte dem eintönigen Rattern der U-Bahn, die sich wie ein Lindwurm durch den Untergrund Berlins grub.
    Ken hatte ihm Bargeld zugesteckt: »Wäre doch scheiße, wenn sie dich wieder einlochen, nur weil sie dich als Schwarzfahrer erwischen.« Dann hatte er für Philip seinen Kleiderschrank geplündert: Die Cordhose, die Philip jetzt trug, war zwar im Schritt so eng, dass er glaubte, es schnüre ihm auf Dauer den Atem ab, über den Schuhen lief sie jedoch mit einem gewaltigen Schlag aus. Dazu trug er einen zartrosa Hilfiger-Pullunder, eine Daunenjacke und über der Glatze eine mintgrüne Strickmütze mit Bommel. Das alles zusammen wirkte wie ein Überbleibsel aus den Wintermonaten der 70er, bunt, willkürlich und mit einem offenen Bekenntnis zur Hässlichkeit. Aber die Klamotten waren warm, das war die Hauptsache. Zudem war das

Weitere Kostenlose Bücher