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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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bestückt, Händler verkauften Obst, Gemüse und jede Menge Tand und Nippes. Doch der Schneesturm hatte viele Landwirte und Trödler aus dem brandenburgischen Umland von einer Anreise in die Stadt abgehalten. Nur wenige hatten ihren Stand aufgebaut und priesen lauthals ihre Waren an, noch weniger hatten ihre Buden mit Weihnachtsschmuck, roten und grünen Lampions an den Stangen, dekoriert. Die allzu weiße Weihnacht forderte ihren Tribut.
    Nur eine Hand voll Menschen war unterwegs. Sie eilten mit ihren Tüten und Taschen von einer der wenigen Marktbuden zur nächsten, getrieben vom eisigen Ostwind und dem Wissen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das nächste Schneegestöber auf sie niederging. Philip war’s nur recht so. Je weniger Menschen unterwegs waren, umso geringer die Gefahr, dass man ihn erkannte und die Polizei rief.
    Er schlug den Gehweg ein, der um den Hermannplatz herumführte, als eine befehlsgewohnte Stimme erschallte: »Hey, du da! Bleib stehen!«
    Jetzt erwischen sie mich! Natürlich: Die Schwester im Krankenhaus hatte die Polizei verständigt, eine Beschreibung seiner Person abgegeben, über die sich Kommissar Berger diebisch gefreut und sie sofort an alle Polizisten in der Stadt weitergegeben hatte. Und dass jetzt kein Schnee mehr fiel, hatte die Fahndung nach ihm nur noch einfacher gemacht.
    Erneut brüllte es über den Platz: »Stehen bleiben!«
     
     
    Lindisfarne
     
    Beatrice erwachte, weil der Regen in einem anhaltenden Stakkato auf das Fenster in der Dachschräge trommelte. Der Wind pfiff ums altersschwache Gebälk. Obwohl alles andere als harmonisch, waren die Geräusche nicht unangenehm.
    Sie grub den Kopf tiefer in das Kissen, zog die Decke bis ans Kinn und gab sich ganz der Wärme hin, die sie umschmeichelte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie für den Rest des Tages im Bett liegen bleiben können. Eine Stimme in ihr murmelte verschlafen, dass das durchaus etwas war, was sie früher, vor ihrer Amnesie, gemocht haben könnte. Sie verflüchtigte sich, als Beatrice ein Rascheln an der Tür hörte.
    In einem Frotteemantel, der an den Hüften von einem Knoten zusammengehalten wurde, und ihren riesigen Hausschuhen stand Angela im Türrahmen und beobachtete ihre Nichte.
    Vor dem Bett lag Buck, die Pfoten weit von sich gestreckt. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Er hatte dort die ganze Nacht geschlafen.
    Beatrice zog die Decke einige Zentimeter herab. »Wie lange stehst du schon dort?«
    »Noch nicht lange«, antwortete Angela. »Ich wollte dich nicht wecken.«
    »Hast du nicht.« Sie schaute zum Dachfenster. Der Regen sickerte in endlosen Strömen die Schräge hinab. Der Himmel war ein Furcht erregend graues Tuch. »Dafür hat der Wettergott gesorgt.«
    Ihre Tante machte ein bitteres Gesicht. »Im Radio haben sie vor wenigen Minuten Sturmwarnung gegeben.« Wie zur Bestätigung begann der Regen noch stärker auf das Dach zu prasseln. »Sie rechnen sogar mit Schnee.«
    Beatrice setzte sich auf. Buck lugte neugierig zwischen den Lidern hervor. »Und das heißt?«
    »Aller Verkehr zur Insel und zurück aufs Festland ist gesperrt.«
    »Wir können nicht nach London«, stellte Beatrice enttäuscht fest.
    »Es ist besser, wenn wir warten. Vielleicht zieht der Sturm vorüber. Wenn aber nicht…« Ihre braunen Locken hüpften arglos, als sie den Kopf schüttelte. »Im Winter, wenn heftige Stürme übers Meer ziehen, passiert so etwas häufiger.«
    Einmal, so erzählte sie, hatte sich eine Gruppe Pilger trotz der Sturmwarnung auf die Rückkehr zum Festland begeben. Hagelkörner so groß wie Hühnereier und dazu heftige Windböen hatten den Wandersleuten die Orientierung geraubt, und sie waren im Watt dem Meer entgegengelaufen. Ihr Glück war gewesen, dass das Wetter in letzter Sekunde umschwang, sonst wären sie von der Flut fortgespült worden und ertrunken.
    »Nein«, schloss sie ihre Schilderung, »es ist besser, wenn wir warten.«
    Sie sagte dies nach Beatrice’ Empfinden einmal zu oft, ganz so, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. Als sei sie in Sorge. Beatrice wagte nicht, nach den Gründen zu fragen, aus Angst vor weiteren unangenehmen Ausflüchten.
    Das Telefon unten in der Diele klingelte. Angela machte keinerlei Anstalten, den Anruf entgegenzunehmen. Sie blieb im Türrahmen stehen. »Das wollte ich dir nur sagen.«
    »Danke«, antwortete Beatrice knapp.
    »Wenn du magst, können wir nachher gemeinsam frühstücken.«
    »Gern«, sagte Beatrice. Das Telefon in der

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