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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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erstarrt. Es war so verdammt kalt in diesem Dreckloch. Beinahe noch kälter als draußen auf der Straße. Philip wärmte sich die Finger, indem er die Händeflächen aneinander rieb. Der Frost ließ sich so vertreiben, nicht aber der Fäulnisgestank.
    Angewidert durchwühlte er die auf dem Boden verstreut liegenden Überreste der Einrichtung, in der Hoffnung, etwas zu finden, was die Diebe nicht interessiert hatte, ihm aber vielleicht einen Hinweis geben konnte. Doch außer Scherben und Müll bekam er nichts zwischen die Finger. Er hockte sich hin, nahm ein zerrissenes Buch in die Hand. Die Wut und der Stolz von Oriana Fallaci. Eine zerbrochene Musik-CD mit Beethovens Neunter; insofern erstaunlich, als dass Philip nirgendwo in dem Chaos einen CD-Player entdeckt hatte.
    Selbst den Schlagzeilen der herumliegenden Tageszeitungen schenkte er jetzt seine Aufmerksamkeit. »Bio« auf der Grünen Woche 2004 – Griechische Fähre vor Piräus auf Felsen gelaufen. – Zwei Jungs aus Zehlendorf werden vermisst. – Aufnahme des Flugverkehrs zwischen Indien und Pakistan. Kein Hinweis, keine versteckte Nachricht, so intensiv er auch suchte. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sich auf die Buchstaben vor seinen Augen zu konzentrieren. Der unerträgliche Gestank in der Wohnung strengte die Sinne an. Er zwang sich zum Weiterlesen, atmete nur noch durch den Mund. Die Minusgrade zerrten an den Zähnen, seine Zunge drohte steif am Gaumen zu gefrieren. Umtausch der Hundemarken von Februar bis April 2004 – Musikalisch-literarische Soiree in der Philharmonie.
    Hinter ihm raschelte es. Philip wirbelte herum und erkannte sie auf Anhieb.
     
     
    Lindisfarne
     
    Am Mittag machte sich ein tobendes Ungeheuer mit weißem Umhang über die Insel her. Als es sich am Nachmittag zum Verschnaufen zurückzog, zog Beatrice Regenmantel, Handschuhe und Gummistiefel über und begab sich mit Buck nach draußen. Die kleinen, gedrungenen Häuschen von Lindisfarne schienen während den letzten Stunden dichter aneinander gerückt zu sein. Gemeinsam trotzten sie dem Sturm. Ein aussichtsloser Kampf, denn schon jetzt trugen die Dachschindeln zentimeterhoch das Geschenk des Winters.
    Sie spazierten über einen Heidepfad und bogen in einen Waldweg. Im Frühling mochten die Bäume in voller Blüte stehen, jetzt waren die Äste knorrig und kahl und voller Schnee. Sie gelangten zu einer Steilklippe, von der Steinstufen, die der Wind über Jahrzehnte glatt geschliffen hatte, hinab zum Strand führten. Noch immer bäumten sich die Wellen meterhoch auf, brachen und fielen mit einem stürmischen Donnern über den Strand her.
    Buck fühlte sich durch die unbändigen Naturgewalten animiert, sprang vor der tosenden Gischt auf und ab, bellte, wenn das Wasser sich über sein Fell ergoss, schüttelte sich, während sein Glöckchen munter klingelte, und das Spiel begann von Neuem. Beatrice beobachtete den Rüden mit wachsender Begeisterung. Irgendwann bemerkte er ihren Blick. Er verlor das Interesse an den Wellen, trottete zu ihr und heischte um einige Streicheleinheiten. Während sie die Hände in sein eiskaltes Fell vergrub, schaute sie zum Himmel. Die Wolken preschten über die Insel zum Festland; sie hingen so tief, dass sie Lindisfarne Castle auf der Anhöhe zu verschlingen drohten. Ein beeindruckendes Schauspiel.
    Sie wanderten eine Weile der Ruine entgegen. Kaum eine Menschenseele begegnete ihnen, die Inselbewohner waren noch nicht davon überzeugt, dass der Sturm sich endgültig trollte. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, aber Beatrice empfand es als aufmunterndes Tätscheln. Sie machte einen Spaß daraus, Bucks Tatzenabdrücken im verschneiten Sand zu folgen. Der Hund allerdings hatte die Jagd auf Möwen eröffnet, und so wurde aus dem Spaziergang ein Irrweg kreuz und quer über den Strand.
    Beatrice verlor sich im klaren Rauschen der Brandung, nahm die salzige Meeresluft wie eine Droge auf, die ihre Sinne in Euphorie versetzte. Hatte sie je woanders gelebt?
    Der Strand beschrieb einen kleinen Bogen und endete in einer zerklüfteten Bucht. Umgeben von hohen Klippen lag das Meer beinahe still, schwappte lediglich träge zwischen den Felsen hin und her. Ein Angler hatte sich mit einem leuchtend gelben Regencape auf den Steinen niedergelassen und starrte auf die Stelle, wo der Köder im tänzelnden Wasser versank. Buck rannte auf den Fischer zu und sprang über die glitschigen Steine, dass es Beatrice Angst und Bange um seine Knochen wurde. Doch der Bobtail kam

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