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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Vergänglichkeit und dem Verfall. Sie wirken weniger wie mit Farben gemalt, sondern mehr, als seien sie mit einem blutigen Messer tief und leidenschaftlich in die Leinwand geritzt.« Daher auch sein Künstlername ›Ritz‹.
     
     
    Lindisfarne
     
    Als Beatrice den Supermarkt betrat, erschallte hinter dem Verkaufstresen ein spitzer Schrei. Wenige Sekunden später kam eine Frau zum Vorschein, deren Körpervolumen so enorm war, dass allein der Anblick Anlass zur Sorge gab. Mrs. Margot Buttkamper, wie ein Brustschild verriet, hatte wohl selbst keine Probleme mit ihrem Gewicht. Ihre rosigen Speckwangen glänzten vor Freude, und sie eilte mit erstaunlich wendigen Schritten auf Beatrice zu.
    »Ist das denn wahr?«, rief sie mit hoher Stimme. »Darling, ich hatte schon befürchtet, du lässt dich nicht mehr bei mir blicken.«
    Sie drückte Beatrice an ihren wogenden Busen. »Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Fünf Jahre? Sechs Jahre? Meine Güte, ist es so lange her?« Beatrice versank in den weichen warmen Massen, während Mrs. Buttkamper munter weiterplapperte. »Das muss ich heute Abend unbedingt meinem Herbert erzählen. Der wird staunen!« Sie löste sich von Beatrice. »Ich freue mich so sehr, dich zu sehen.«
    Beatrice musste unweigerlich schmunzeln bei dem Gedanken an Mrs. Buttkampers Ehemann. Ob er ähnliches Format besaß wie seine Gattin? »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
    Margot winkte ab. »Ach, Darling, tu nicht so.« Die Speckwangen verschoben sich zu einem einnehmenden Lachen. »In Wirklichkeit weißt du doch gar nicht, wer ich bin.«
    Beatrice fühlte sich ertappt. »Um ehrlich zu sein…«
    »Siehst du, Darling. Aber mach dir nichts draus. Ich hab gehört, was dir passiert ist.« Sie hob mitleidig die Pranken. »Es tut mir ja so Leid. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag mir Bescheid.«
    »Das ist nett von dir.« Und sie meinte es so, wie sie es sagte. So war es auf dem Dorf. Jeder kannte jeden. Und jeder half jedem.
    Margot Buttkamper rückte näher an sie heran. »Und es ist wirklich wahr?« Sie senkte ihre Stimme. »Du kannst dich an nichts mehr erinnern?«
    Beatrice nickte.
    »Auch nicht an die Reißnägel, mit denen wir dein Bett während der Klassenfahrt gespickt haben?«
    »Nein.«
    »Und die Torte, die ich am Tag vor deinem 14. Geburtstag verdrückt habe?« Margot zwinkerte. »Dann hat es ja auch was Gutes«, gluckste sie befriedigt, fuhr sich mit den Händen über die riesige Wölbung ihres Bauchs, und sie beide lachten.
    »Was führt dich zu mir?«, fragte Margot, als sie sich wieder beruhigt hatten.
    Gerne wäre Beatrice noch eine Weile geblieben und hätte sich mit der so kräftigen wie gemütlichen Frau unterhalten. Aber sie wollte ihre Tante nicht schon wieder warten lassen. Daher sagte sie: »Ich würde gerne einkaufen.«
    Das kugelrunde Gesicht starrte sie einen Augenblick verdattert an. Dann dämmerte es ihr, und sie keckerte. »Aber natürlich, Darling, natürlich.« Sie watschelte hinter die Kasse zurück. »Bedien dich. Und wenn du Hilfe brauchst, gib mir Bescheid. Ich bin sofort da. Scheu dich nicht zu fragen. Ruf mich einfach.«
    Beatrice versprach, dass sie dies ganz bestimmt tun würde und stöberte zwischen den Regalen. Sie waren gut sortiert, eine Notwendigkeit für Lindisfarne, das im Winter jederzeit von der Außenwelt abgeschlossen werden konnte.
    Lange hielt sie sich beim Gemüse und Obst auf. Aus dieser oder jener Zutat bereitete sie in Gedanken eine Speise, freute sich innerlich darüber, dass sie offenbar gut kochen konnte. Schließlich bezahlte sie Paprika, einen Salatkopf, Tomaten, einen Streifen Schinken, Salami, zwei Tüten Milch, einige Süßigkeiten und packte damit die Einkaufstüte bis zum Rand voll. Eine Packung mit den Hundebrocken, die sie zusätzlich erstand, riss sie entzwei und steckte sie sich in die Jackentasche. Sie verließ den Supermarkt, nicht ohne dass die kugelrunde Mrs. Buttkamper ihr das heilige Versprechen abgerungen hatte, demnächst noch einmal vorbeizukommen.
    Draußen wartete Buck. Freudig sprang er an ihr hoch. Das Glöckchen klingelte bei jeder Bewegung.
    »Als Nächstes werde ich dir ein neues Halsband kaufen«, versprach sie und steckte ihm einen Kaubrocken zu. Mit zwei schmatzenden Bissen war er verschwunden. »Dieses Glöckchen gehört zu einer Kuh, aber nicht zu einem Hund wie dir. Oder was meinst du?«
    Er kläffte, als habe er verstanden. Ja, nimm mir dieses elendige Teil endlich ab. Vielleicht bettelte er

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