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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Künstler«, meinte Philip. »Eduardo Desfault.«
    Johann nickte. »Du meinst Ritz. Obwohl…« Er legte den Finger an die Lippe. »Das war früher mal sein Name, oder?«
    »Ja. Wo finde ich ihn?«
    »Bist du ein Fan?«
    Philip zögerte.
    »Gelegentlich besuchen ihn nämlich Fans, oder wie sich die Bewunderer seiner Kunst nennen. Ich hab mal einige Bilder von ihm gesehen. Das Kunstverständnis der Leute…« Er schüttelte mitleidig den Kopf. »Inzwischen hat er nicht mehr viele Fans, aber einige halt doch noch. Ich weiß nicht, was sie sich erhoffen, wenn sie zu ihm gehen. Dass er ihnen ein Referat über Kunst hält? Seine Werke interpretiert? Die meisten verlassen ihn enttäuscht und kommen nie wieder.«
    »Ja, ich möchte mit ihm reden«, sagte Philip.
    »Genau, das ist das Problem.« Johann gluckste. »Da mach dir besser keine Hoffnung. Ritz spricht nicht viel. Meines Wissens hat er die letzten fünf Jahre über kein Wort mehr gesagt. Die meisten hier nennen ihn nur noch Til Schweiger.« Noch so ein Kalauer. »Ihn kümmert das nicht.«
    »Und wo finde ich ihn?«, fragte Philip.
    »Bist du als Besucher angemeldet?« Johann rieb sich die Nasenspitze, der einzige Ort, an dem keine Akne spross. »Wohl eher nicht, oder?«
    »Und was wäre, wenn nicht?«, fragte Philip vorsichtig.
    »Ganz einfach: Dann müsstest du die Klinik verlassen.«
    »Ich bin Besucher!«, betonte Philip.
    »Und warum bist du dann nicht im Besucherraum?«
    Was sollte das hier geben? Ein Katz-und-Maus-Spiel? »Weil…« Philip suchte nach einer Antwort. Weil ich mich auf dem Weg zur Toilette verlaufen habe. Wohl kaum.
    »Weil du dort nicht auf Ritz treffen würdest, richtig?«, sagte der Pfleger mit einem verschmitzten Lächeln. »Weil Ritz nämlich immer draußen ist, bei Wind und Wetter.«
    »Draußen, bei Wind und Wetter«, echote Philip.
    »Genau, das wollte ich gerade sagen. Ritz sitzt im Park. Bei Wind und Wetter. Eine seltsame Marotte von ihm. Aber dein Glück. Deswegen brauchst du keinen Termin. Denn wer immer die Klinik besucht, kommt ohne Probleme in den Park. Und wer ohne Probleme in den Park kommt, der kann sich ohne weiteres und, jetzt kommt dein Part, ohne einen Termin mit Ritz treffen.«
    »Genau das wollte ich gerade sagen«, sagte Philip. Da war es wieder: Alles fügte sich so, dass er einen Schritt weiterkam. Und auf einmal war ihm Johann unglaublich sympathisch.
    »Schön«, sagte dieser und grinste. »Dann sind wir uns ja einig.«
    Er beschrieb einen schnellen Weg durchs Gebäude raus zum Park. Doch Philip wusste längst den Weg. Er wusste auch, wer die einsame Gestalt war, die im Schneetreiben auf der Parkbank saß. Er lief los. Johann pfiff ihn noch einmal zurück.
    »Philip«, sagte er leise. Nun blickte er ziemlich ernst. Philip hob die Augenbraue. »Du steckst in Schwierigkeiten, oder?«
    Philip brachte keinen Ton über die Lippen.
    »Ich habe mit Ken drüber gesprochen. Ich habe von dir in der Zeitung gelesen.«
    »Was soll ich dir dann noch sagen?«
    »Dass du einen guten Grund hast, dich hier in die Klinik einzuschleichen. Und dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass du Scheiße baust, wenn ich jetzt einfach so tue, als hätte ich dich nicht gesehen.«
    Philip kaute auf der Unterlippe. »Ja, ich habe einen Grund. Einen verdammt guten Grund. Und nein, du brauchst dir keine Sorgen machen.«
    »Okay.« Johann dachte nach. »Nur damit du es weißt: Ich mach das, weil du ein Freund von Ken bist. Und weil Ken ein guter Kumpel von mir ist.«
    »Danke«, sagte Philip.
    »Du willst nur mit ihm reden?«
    Philip nickte.
    »Okay, dann rede mit ihm. Aber erwarte nicht zu viel.«
     
     
    Rom
     
    Bischof Ricardo de Gussa verschloss die Tür zu seinen Gemächern und verweilte für einige Sekunden an dem schweren Holz. Fast war er geneigt, seine Stirn daran zu betten, aber diesem Zeichen der Erschöpfung und Schwäche wollte er sich nicht hingeben, auch nicht, wenn er sich alleine wusste. Er blieb einfach aufrecht stehen und genoss die Stille, die in den Abendstunden einkehrte, wenn die Pilger und Touristen den Vatikan verließen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal seinem Tagesgeschäft nachgegangen war. Vier oder fünf Tage war es gerade einmal her, aber es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Er hatte einiges aufzuholen, auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Briefe und Anfragen, die auf eine Antwort warteten, Entwürfe und Verträge, die er zu unterzeichnen hatte. Unter dem ganzen Durcheinander lag

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