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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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wiederholt beteuert hatte, die Patienten sowohl der offenen als auch der geschlossenen Abteilung vor neugierigen Blicken schützen zu wollen.
    Durch ein Fenster betrachtete er den Klinikpark oder das, was das Schneegestöber von der Idylle preisgab. Der Garten war menschenleer, einzig auf einer Parkbank saß eine Person, beinahe wie vergessen. Wenn sie noch eine Stunde sitzen blieb, würde nichts mehr von ihr zu erkennen sein als eine unter den Schneemassen begrabene Erhebung.
    Philip sah nach links, dann nach rechts, er war alleine. Bereits die erste Türklinke, die er probierte, gab seinem Druck nach. Hastig betrat er einen anderen Flur, der, wenn er sich korrekt erinnerte, zur offenen Abteilung der Klinik führte. Er zog sich die Daunenjacke aus und hielt sie in der Hand. Er folgte dem Gang, ohne dass ihm jemand begegnete. Einerseits war er erleichtert darüber, denn es wurde anscheinend zur Gewohnheit, dass er sich ohne Genehmigung Zutritt zu Krankenstationen verschaffte. Andererseits wusste er nicht, wie er, ohne jemanden zu fragen, den Künstler finden sollte. Ausrechnet jetzt kamen ihm Fankows Worte in den Sinn: Ein guter Journalist kennt keine Gnade.
    Ein Mann im Jogginganzug versperrte ihm den Weg. Philip machte sich Mut. Zeige nie Mitleid. »Ich suche jemanden«, schien ihm die geeignete Anrede.
    »Aha«, sagte der Mann und trippelte von einem Fuß auf den anderen, als habe er gerade eine Runde durch den Park gedreht. »Ich suche auch was.«
    »Und was?«
    »Mein Auto. Kannst du mir sagen, wo mein Auto ist?«
    »Auf dem Parkplatz«, schlug Philip vor.
    »Nein, nein, nein«, heulte der Mann auf und sprang in die Höhe. Offenbar war jetzt Aerobic angesagt. »Das stimmt doch gar nicht. Das stimmt doch gar nicht.«
    »Na dann«, meinte Philip und wollte sich abwenden. Von diesem aufgeregten Herrn würde er ganz sicher keine brauchbaren Informationen bekommen.
    »Willst du nicht mit mir fahren?«, lud der Mann ihn ein.
    Philip verzichtete dankend. Doch der Mann bestand darauf, Taxi zu spielen. »Warte«, rief er, während er hinter Philip herrannte, »warte, ich nehme dich mit.«
    Der Lärm lockte eine Krankenschwester an. Ihr blonder Schopf lugte aus einem Zimmer, doch Philip bog rechtzeitig in einen abzweigenden Gang.
    Er durfte nicht mehr viel Zeit verlieren. Wenn man ihn entdeckte, würde er so schnell keine zweite Gelegenheit bekommen, mit Ritz zu sprechen. Er beschleunigte seine Schritte, ohne zu wissen, wohin er eigentlich ging. Doch er war überzeugt, ihm werde sich ein Weg zeigen. Hatte es das zuletzt nicht immer getan? Eine Tür klappte nur wenige Meter vor ihm auf; Philip hatte keine Chance mehr, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen. Ein Pfleger baute sich vor ihm auf, ein schlaksiger junger Mann mit ungesund vielen Pickeln im Gesicht. »Ken? Was machst du denn hier?«
    Philip guckte irritiert. »Ken?«
    Jetzt blickte der Pfleger reichlich verdattert. »Nein, du bist ja gar nicht Ken. Du bist Philip, stimmt’s?« Er wies auf die Schlaghose und den rosafarbenen Pullunder. »Solche Klamotten, also ehrlich, Ken ist manchmal unglaublich geschmacklos.«
    »Und wer bist du?«
    »Ich bin ein Kumpel von Ken, Mensch, ich studiere mit ihm. Erkennst du mich denn nicht?«
    Philip dachte nach. »Nein.«
    »Vor drei Wochen, im Ostgut. Wir waren vorher auf einer Studentenparty. Die U-Boote, kannst du dich nicht daran erinnern?«
    Auf der besagten Party hatte der Abend mit U-Booten angefangen, einem höllisch starken Mix aus Wodka und O-Saft. Im › Ostgut‹ waren sie dann zu Wodka-Lemon übergegangen. Dazu ein oder zwei Ecstasy-Pillen, und schnell hatte Philip den Überblick verloren. Auch die Erinnerung an all die Leute, die ihm in jener Nacht über den Weg gelaufen waren. »Klar«, log er, »du warst…« Ihm fiel kein Name ein.
    »Johann«, sprang der Pfleger bei. »Ist schon gut. Du hast damals ziemlich tief ins Glas geschaut. Deine Freundin musste dich nach Hause bringen, wie war noch ihr Name?«
    »Chris.«
    »Genau. Verdammt hübsches Mädel!«
    Etwas krallte sich in sein Herz. Ich weiß nicht, ob Chris noch meine Freundin ist. Schnell sagte er: »Und was machst du hier?«
    »Ich arbeite hier.«
    »Du bist Pfleger?«
    »Nicht wirklich. Ein Praktikum fürs Studium, du verstehst?«
    »Aha.«
    »Und du? Was machst du hier?«
    »Ich suche jemanden.«
    »Das ist mal was Neues«, meinte Johann und lächelte breit. »Alle anderen hier suchen sich selbst.«
    Er schien ein Witzbold zu sein. »Ich suche einen

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