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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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nachdem sie heimgekehrt war.
    Dann sah sie die Pflanzen. Sie lagen zertreten in Abdrücken, die Schuhe in dem verschneiten Blumenbeet hinterlassen hatten.
    Jemand schaute zur Hintertür heraus. Beatrice wollte ihren Kopf einziehen, doch dann erkannte sie erleichtert ihre Tante. Sie war wohlbehalten. Alles ist in Ordnung. Die Aufregung war umsonst. Beatrice wollte aufstehen, doch da trafen sich ihre Blicke. Unmerklich schüttelte Angela den Kopf. Bleib da!
    Sie drehte sich zurück in das Wohnzimmer und schloss die Tür. Trotzdem waren die Stimmen aus dem Haus deutlich zu vernehmen. Eine sprach: »Was wollen Sie von mir?« Es war die Stimme ihrer Tante.
    Beatrice zog ihren Kopf ein.
    Ein Mann erwiderte: »Von Ihnen?« Er lachte gequält. »Gar nichts. Sie wissen, was ich will.«
    »Niemals«, wehrte Angela ab.
    »Ich sage es nur ungern: Aber es ist Ihre Entscheidung.«
    »Wagen Sie es nicht, die heilige Insel zu entweihen«, drohte ihre Tante, doch hilflose Verzweiflung lag in ihrer Stimme.
    »Seien Sie nicht einfältig. Das ist längst geschehen. An jenem Tag, an dem Sie und Ihre Familie auf diese Insel gekommen sind.«
    »Scheren Sie sich zum Teufel.«
    »Sie sind auf dem besten Wege zu ihm.«
    Ein Schrei gellte durch das Haus. Beatrice’ Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Buck winselte, doch er verharrte neben ihr.
    Sie musste ihrer Tante helfen. So hilf ihr doch! Doch sie wagte nicht, sich zu bewegen. Etwas presste sie gegen die Steinmauer, hinab in das feuchte, kalte Moos. Es ist wichtig, dass du die Wahrheit erfährst. So viel hängt davon ab. Der Schrei erstarb. Etwas fiel um. Oder jemand.
    Dann war es ruhig. Zeit verging. Nichts passierte.
    Beatrice blieb schlotternd sitzen, Buck hechelte an ihrer Seite. Du darfst dich nicht davon abbringen lassen, auf keinen Fall.
    Irgendwann waren Schritte zu vernehmen, leise knirschend wie von Stiefeln, die sich entfernten. Bald darauf herrschte Grabesstille jenseits der Mauer.
     
     
    Berlin
     
    In Kens Altbauwohnung flackerten wie am Morgen die Kerzen auf dem kleinen Wohnzimmertisch, und im Aschenbecher lag ein halber Joint. »Möchtest du?«, fragte sein Kumpel.
    Philip verweigerte sich nicht. Das Gras entspannte den Geist. Jetzt störte ihn nicht einmal mehr die Straßenbahn, die vor dem Haus vorbeirumpelte. Wenn sie denn fuhr. Denn das Schneetreiben hatte am Abend zu einem Stromausfall geführt, und die Berliner Verkehrsbetriebe waren zum Erliegen gekommen. Erst gegen 22 Uhr hatte eine Bahn Philip aus dem Berliner Norden zurück ins Zentrum gefahren. Jetzt sehnte er sich nach einer Prise Schlaf.
    »Warte, ich mix uns einen Drink«, sagte Ken. Als er mit zwei Wodka-Lemon aus der Küche auftauchte, war Philip auf der Couch eingeschlafen. Selbst das lilagelbe Karomuster hatte ihn nicht davon abgehalten.
    Er erwachte, als eine der Kerzen mit einem Knistern erlosch. Er gähnte. Angekleidet lag er auf dem Sofa, nicht einmal die Schuhe hatte er sich ausgezogen. Ken hatte eine Decke über ihn ausgebreitet. Das Licht der verbliebenen Kerzen tauchte den Raum in ein gemütliches Halbdunkel, durchbrochen nur von den neonblauen Kontrollleuchten der Stereoanlage. Statt der Musik hing der Dunst des Joints im Zimmer, die Tüte selbst lag zerdrückt im Aschenbecher. Daneben entdeckte Philip zwei Gläser, eines leer, eines mit Wodka-Lemon bis zum Rand gefüllt, sowie eine Schachtel Zigaretten.
    Er streckte seine Hand nach den Kippen aus, doch kurz bevor er sie ergreifen konnte, hielt er inne. Er hatte einige Tage keine Zigaretten mehr geraucht. Er verspürte auch keine sonderliche Lust darauf. Es war eher die Gewohnheit, die ihn nach der Schachtel hatte greifen lassen. Wenn die Ereignisse bisher nicht viel Positives für ihn bereitgehalten hatten, immerhin das Rauchen hatten sie ihm abgewöhnt.
    Aber das stimmte so natürlich auch nicht. Er hatte viele neue Dinge über sich erfahren. Die große Antwort fehlte zwar, aber es waren dennoch kleine Hinweise, die irgendwann, richtig sortiert, ein klares Bild seines Lebens ergeben würden.
    Beschwingt erhob er sich und wollte den CD-Player auf Play drücken. Ein Geräusch aus der Küche ließ ihn erstarren. »Ken?«, rief er leise in die Dunkelheit.
    Keine Antwort. Er trat einen Schritt nach vorne. Aus dem Schlafzimmer ertönte Kens seliges Schnarchen.
    Und wieder ein Geräusch. Ein verstohlenes Knirschen. Dumpfe Schritte auf Schnee. Hände auf einer Fensterbank. Philip sprang mit einem beherzten Satz durch die Diele und landete

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