Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
Wetter konnte ihm nichts anhaben. Er hatte ganz anderes erlebt. Und er war überzeugt davon, dass noch Schlimmeres bevorstand.
    Die Nacht irrte geisterhaft durch den Park. Die Laternen verströmten ein geheimnisvolles Zwielicht. Philip blinzelte. Der Christbaum wiegte sich zu einer lautlosen Melodie – fast ein idyllisches Fotomotiv. Wenn da nicht diese unwirtlichen Temperaturen wären. Und es wird noch kälter.
    Leise entfernte sich Philip. Erst als er das Klinikgelände verließ, fiel ihm ein, dass er nicht danach gefragt hatte, wie Ritz seinen Vater kennen gelernt hatte. Aber das, so entschied er, sollte sein Vater ihm selbst erklären.
     
     
    Lindisfarne
     
    Ihr seid in Gefahr.
    Beatrice trieb sich zur Eile an, doch die klobigen Gummistiefel an ihren Füßen vereitelten dieses Vorhaben. Der Schnee auf den Straßen verwandelte sich in einen Sumpf und erschwerte zusätzlich das Fortkommen. Ihr Atem ging schwer. Die Anstrengungen der letzten Tage forderten Tribut.
    Endlich verließ sie die Hauptstraße Lindisfarnes und rannte den schmalen Weg zum Cottage ihrer Tante entlang. Bald darauf kamen die Tannen in Sicht, dann das kleine Gartentor. Du musst dich beeilen, spornte sie sich an. Doch je mehr Kraft sie in ihre Beine pumpte und Schweiß aus ihren Poren floss, desto weiter entfernte sich das Haus. Das war unmöglich. Als befände sie sich auf einem Laufband, das sie nach hinten trug, während sie vorwärts spurtete. Sie musste sich täuschen.
    Wo war Buck? Der Bobtail folgte ihr nicht mehr. In der Bewegung drehte sie sich nach ihm um.
    »Buck«, rief sie keuchend. Der Rüde hockte in Abwehrhaltung am Straßenrand und knurrte mit gefletschten Zähnen etwas vor ihr an. Doch sie wollte nicht stoppen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Cottage. Es lag friedlich unter den Bäumen, bedeckt von einer weichen Schneedecke. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. Nur Bucks Grollen. Sie stolperte. Ihre Gummistiefel waren auf einen Widerstand gestoßen. Trotz ihrer rudernden Arme war es zu spät. Während sie fiel, glaubte sie eine dunkle Gestalt zu ihren Füßen zu erkennen. Sie lag gekrümmt am Straßenrand, fast wie tot. Es ist nur mein Schatten, stelle sie erleichtert fest, dann tauchte der Boden vor ihr auf. Mit den Händen fing sie ihren Sturz ab. Ein Ast von einem niedrigen Strauch kratzte ihr über das Gesicht.
    Geschwind rappelte sie sich auf, rieb sich die linke Wange und sah Blut auf Handfläche und Finger. Über was war sie gestürzt? Ein heruntergefallener Ast? Ein Stein? Sie konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Sie hätte schwören können: Da lag gerade jemand zu ihren Füßen.
    Buck saß noch immer im Straßenmatsch, seine Fänge zu einem bedrohlichen Knurren entblößt. Irgendetwas bereitete ihm Angst. Nicht nur ihm.
    Beatrice hielt den Atem an und lauschte. Die Insel lag still, untermalt nur von der leisen Meeresbrandung am Strand, die der Wind an ihr Ohr trug.
    »Was ist mit dir?«, sagte sie und flüsterte dabei unweigerlich. Der Hund würde ihr keine Antwort geben können.
    Sie tauchte in das Dickicht aus Sträuchern und Tannen am Straßenrand. Durch die Büsche schlug sie einen Bogen zum Hintereingang des Hauses. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass Buck wieder an ihrer Seite war. Das machte Mut. Denn die Welt im Unterholz war voller Schatten und feuchter, knarrender Geräusche. Die ineinander verflochtenen Zweige der Bäume bildeten mit dem Schnee ein dichtes Netz, das so aussah, als sei es als Falle für sie gedacht, die jeden Moment auf sie herabfallen und sie einfangen konnte. Ihr kamen Zweifel, ob es eine gute Idee gewesen war, diesen Weg zu wählen. Doch für eine Umkehr war es jetzt zu spät.
    Der Wald umgab den Hintergarten des Cottages. Das Gras, das stellenweise aus dem weißen Flor ragte, sah geisterhaft aus. Tatsächlich wirkte der ganze Garten unirdisch. Bäume seufzten. Schatten bewegten sich, veränderten ihre Gestalt. Die Ziegelmauer, die den Garten auf drei Seiten umschloss, wirkte massiv und farblos.
    Vor der Mauer ging sie in die Hocke. Sie war keine fünf Meter mehr vom Haus entfernt. Es lag still, beinahe zu still. Ihr wurde kalt, und nur mit Mühe konnte sie verhindern, dass ihr die Zähne klapperten. Buck drückte sich an ihr Bein. Sie streichelte sein Fell. Vorsichtig hob sie den Kopf über die Mauer und spähte zum Gebäude. Die Hintertür stand offen.
    Sicherlich nur ein Irrtum, beruhigte sie sich. Angela hatte bestimmt vergessen, die Hintertür abzuschließen,

Weitere Kostenlose Bücher