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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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paranoid.
    Trotzdem wollte sie nicht noch mehr Blicke auf sich ziehen, als sie es ohnehin schon tat. Der junge Mann auf der anderen Seite des Banktresens teilte ihren Wunsch offenbar. Er grübelte, rückte dabei seine Krawatte zurecht und meinte schließlich: »Warten Sie!«
    Er tauchte ein in das Gewirr aus Beratungskabinen, die sich tief in das Bankgebäude erstreckten. Kurz darauf kehrte er in Begleitung eines älteren Herrn zurück. Dessen rot umrandete getönte Nickelbrille waren das einzig Auffallende an ihm. Mit seiner Halbglatze, dem winterbleichen Gesicht und dem grauen Anzug war er so unscheinbar wie einer von Abertausenden Grashalmen auf einer Wiese.
    »Kommen Sie bitte mit«, sagte er mit leiser, fast unhörbarer Stimme. Beatrice nahm den Koffer an sich und folgte seiner Aufforderung nur zu gerne. Na also! Buck blieb treu an ihrer Seite. Den Azubi würdigten sie keines Blickes mehr.
    Doch statt in die Tresorräume führte der Mann sie in eine der Beratungskabinen. Ein kleines Namenskärtchen auf dem Schreibtisch stellte ihn als Mister R. Anorchsky – Ihr Geld ist unsere Verpflichtung! vor.
    Mister Anorchsky bot ihr keinen Platz an, verlor aber auch nicht viele Worte. Er sagte: »Wir können Sie von den Sicherheitsbeamten aus dem Gebäude…«, er zögerte, »… führen lassen.« Er hüstelte, als habe er etwas Unflätiges von sich gegeben.
    »Warum haben Sie es noch nicht getan?«
    Seine Nickelbrille rutschte ihm auf die Nasenspitze, eine Geste der Hilflosigkeit, und Beatrice war nicht überrascht, dass selbst seine Pupillen von unscheinbarem Grau waren. »Weil die Bank voller Menschen ist. Weil Adventszeit ist. Weil ich in diesen Tagen einen Aufruhr vermeiden möchte.«
    »Sie meinen, es würde einen Aufruhr geben?«
    Er warf einen missbilligenden Blick auf den Bobtail. »Bestehen Sie auf Ihrer Forderung?«
    »Ja.«
    »Und Sie haben niemanden, dem Sie den Hund anvertrauen können?«
    »Nein.«
    »Nun«, entschied Mister Anorchsky, »dann müssen wir den Aufruhr vermeiden.« Mit der Art, wie er seine Brille zurechtrückte, brachte er seinen Unbill zum Ausdruck. Seine Lippen umspielte ein Lächeln, unmerklich wie seine ganze Erscheinung, und er gab jemandem, der hinter Beatrice stand, ein Zeichen. »Meine Herren, führen Sie die Dame doch durch den Hinterausgang nach draußen.« Zwei muskelbepackte Männer in Security-Uniformen tauchten im Türrahmen auf.
    Buck knurrte, doch Beatrice beruhigte ihn. Ihren eigenen Zorn kämpfte sie nicht nieder, die Wut auf sich selbst. Hatte sie tatsächlich angenommen, ein kleiner grauer Prinzipienreiter würde über seinen Schatten springen?
    »Mister Anorchsky«, bat sie. Die beiden Sicherheitsleute rückten näher. »Nur dieses eine Mal.«
    »Es tut mir Leid«, wehrte der Beamte ab und begab sich hinter seinen Schreibtisch. »Vorschriften sind nun mal Vorschriften. Haustiere sind im Tresorraum der Royal Bank of Scotland nicht erlaubt.«
    Die beiden Sicherheitsbeamten bauten sich wie Kleiderschränke rechts und links von ihr auf und bugsierten sie behutsam, aber entschlossen zur Tür hinaus. Der Bobtail sah Beatrice an. Nur ein Zeichen, und er würde den beiden Muskelmännern kräftig in den Allerwertesten beißen. Doch abgesehen davon, dass sie Buck mit ihren Pranken innerhalb von Sekunden zu Brei zermalmt hätten, es würde die Situation nur noch aussichtsloser für sie machen.
    »Warten Sie«, rief Beatrice. Sie hatte eine Idee. »Warten Sie.«
    »Was denn noch?« Mister Anorchsky klang genervt.
    »Und was ist, wenn…«, sie wies auf einen der beiden Kleiderschränke, die durchaus in der Lage waren, mehr als einen kleinen Hund zu zermalmen, »… einer der beiden freundlichen Herren vor dem Tresorraum auf meinen Hund aufpasst, während ich an mein Schließfach gehe?«
    Mister Anorchsky, dessen Verpflichtung ihr Geld war, kniff den Mund zusammen. »Es ist nicht üblich, dass…«
    »Nur dieses eine Mal.« Sie schöpfte Hoffnung. »Und ich verspreche Ihnen, ich leere das Schließfach, und Sie sehen mich nie wieder.«
    Anorchsky wechselte einen Blick mit den Security-Leuten. Diese zuckten die Achseln.
    »Also gut«, räumte er ein. »Nur dieses eine Mal.« Er seufzte. »Und Sie versprechen mir: Sie lösen das Schließfach auf?«
    »Ja.« Und das war ihr voller Ernst. Was immer in dem Schließfach lag, sie wollte es an sich nehmen und anschließend aus der Stadt verschwinden. Wohin? Keine Ahnung. Möglicherweise hielt der Inhalt des Schließfaches eine Antwort bereit.

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