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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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sträubte sich dagegen. Als er sie berührte, fuhr er wie unter einem Stromstoß zusammen. Sie taumelte ebenfalls. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, und sie stieß ihn von sich.
    »Was haben Sie?«
    »Sie… Sie sind…« Kahlscheuer hatte niemals zuvor einen Ausdruck so grenzenloser Angst gesehen. Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten, Kinn und Lippen bibberten und dann schlotterte sie am ganzen Leib, ein eigenartiges krampfhaftes Zittern, fast wie in Ekstase. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Sie werden Philip…« Sie würgte vor Abscheu.
    »Was werde ich?«
    »Ich habe mich geirrt«, krächzte sie. »Ich habe mich geirrt, ich habe mich geirrt…«
    »Bitte, Sie müssen…«, setzte Kahlscheuer an.
    Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter. Lacie hielt ihn zurück. »Lassen Sie sie.«
    »Sie werden ihn nicht kriegen«, heulte sie auf. »Nur über meine Leiche.«
    »Endlich ein vernünftiger Vorschlag«, spottete Lacie. Er schubste den Priester rüde beiseite und machte einen Schritt nach vorne.
    »Was, zum Teufel, soll das?« Kahlscheuer schrie und schämte sich nicht für seine Worte. Starr vor Entsetzen verfolgte er, wie der narbengesichtige Mann mit einem Satz neben der alten Frau stand.
    Lacie riss sie an sich. Sie glitt auf dem schneeglatten Pflastersteinen aus. Er fing sie in seinen Armen auf, eine beinahe zärtliche Bewegung. Es sah aus, als würden sie gemeinsam einige Ballettschritte proben. Sie wehrte sich gegen seine Umarmung, doch Lacie gab sie nicht frei. Ihre Füße schlitterten, während sie sich gegen seine starken Arme stemmte.
    Plötzlich ließ Lacie sie los. Wie ein nasser Sack stürzte sie nach hinten. Ihr Schädel knallte mit voller Wucht auf den vereisten Asphalt. Regungslos blieb sie liegen.
    »Was haben Sie getan?«, stammelte Kahlscheuer und konnte den Blick nicht von der leblosen Frau wenden. Der Schnee fiel ihr auf die offenen Augen. Der Himmel sah schweigend zu, wie immer.
    »Nichts habe ich getan«, antwortet Lacie und beugte sich zu ihr herab. »Sie ist ausgerutscht, Sie haben es doch mit eigenen Augen gesehen. Sie ist böse gestürzt und hat sich dabei das Genick gebrochen.«
    »Das ist nicht wahr! Sie haben ihr das Genick gebrochen! Sie haben Sie ermordet!«
    Lacie drehte sich zu Kahlscheuer um. »Ich habe versucht, sie vor dem Sturz zu bewahren.« Sein diabolisches Grinsen strafte ihn Lügen. »Und Sie, mein Lieber, täten gut daran, nichts anderes zu behaupten.«
    Der Pfarrer erwachte aus seiner Lähmung und trat einen Schritt zurück. Die Hauswand versperrte ihm den Weg. Sein Blick irrte umher. Der narbengesichtigte Mörder kam näher, stand jetzt vor ihm. Der böse Geist wollte sein blutiges Werk vollenden, das war ihm anzusehen. Die Mordlust quoll ihm förmlich aus den wulstigen Schrammen im Gesicht. Kahlscheuer senkte die Lider und erwartete den tödlichen Hieb.
    Das Grinsen Lacies löste sich auf. »Heute ist Ihr Glückstag.«
    Kahlscheuer öffnete die Augen. Er war sich nicht sicher, ob das Weiterleben eine so große Gnade war. »Was bedeutet das alles? Warum haben Sie sie umgebracht? Wer sind Sie?«
    Lacie wandte sich ab. »So viele Fragen…«
    »Was hat sie Ihnen getan?«
    »Sagen wir einfach, Gott hatte ein Interesse daran, dass diese arme, alte Seele ihre Ruhe findet.«
    »Gott?« Kahlscheuer starrte ihn an. »Sie morden und reden dabei von Gott?«
    »Ja, Sie haben richtig gehört«, hielt Lacie trocken entgegen. »Gott. Oder sollte ich sagen: sein Stellvertreter auf Erden? Der Vatikan? Nun, ich komme ins Plaudern. Sie jedenfalls täten gut daran, ganz schnell zu vergessen, was Sie gesehen und gehört haben.«
    Würde der Vatikan einen Mörder in seinen Reihen dulden? Kahlscheuer hatte davon gehört, dass es Organisationen gab, die damit beauftragt waren, die Interessen des Vatikans mit drastischen Mitteln zu vertreten. Aber hier in Neukölln? Er schaute auf Eleonores Leiche herab. Sie war nur eine Greisin. »Was soll ich der Polizei sagen?«
    Lacie war bereits einige Meter entfernt. Er drehte sich noch einmal um: »Sagen Sie einfach, was Sie gesehen haben: eine alte Frau, verwirrt, umnachtet, verfolgt von den Geistern der Vergangenheit, gehetzt vom Tod. Der Schnee und das Eis waren ihr Schicksal. Niemand wird die Worte eines Priesters anzweifeln.«
    Dann war er im Schneetreiben verschwunden.
     
     
    Berlin
     
    Philip fuhr mit der U-Bahn von Wedding zur Karl-Marx-Straße, Ecke Kottbusser Damm, von dort zur katholischen Kirchengemeinde St. Clara in

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