Schwester Lise
Junge!“
„Nichts lieber als das“, versicherte Fredrik, und Halfdan ging davon, nachdem er ihnen freundlich zugenickt hatte.
Jetzt lag Eirin still in der Sonne. Neben ihr saß Fredrik und betrachtete sie durch die halbgeschlossenen Augen. Es lohnte sich, sie anzusehen: das frische, sonnengebräunte Gesicht; die dunklen Locken, die aus dem Kragen des weichen grauen Reisemantels hervorschauten; das lustige Kopftuch, das sie umgebunden hatte; die samtbraunen Augen mit den langen Wimpern und die kecke kleine Stupsnase - ach ja, sie anzuschauen lohnte sich wirklich. Der ernste, nachdenkliche Ausdruck, den sie gerade jetzt hatte, stand in einem drolligen Gegensatz zu der Stupsnase und den runden Mädchenwangen.
„Eirin“, sagte Fredrik plötzlich. Die Stimme klang gedämpft, aber trotzdem eindringlich. „Eirin - haben Sie Halfdan sehr gern?“
Sie wandte sich zu ihm um und richtete die Augen auf ihn.
„Selbstverständlich habe ich das! Das ist aber eine sonderbare Frage!“
Fredrik lächelte.
„Selbstverständlich, sagen Sie. Lassen Sie nie die Liebe eine Selbstverständlichkeit werden, kleine Eirin! Dann ist sie auf dem besten Wege, zu verduften. Die Liebe muß so jung und frisch sein, daß sie sich immer selbst erneuert. Jeder Tag muß ein Erlebnis sein, jedesmal, wenn Sie Halfdan ansehen, müssen Sie das gleiche
Übermaß an Glück empfinden wie zu Anfang, als Sie sich verlobten.“
„Ja, aber - “ Eirin sah ihn hilflos an. Derartige Probleme hatte es für sie nie gegeben. „Ja, aber - es ist doch selbstverständlich, daß ich Halfdan gern habe. Das fehlte ja auch noch! Ich werde ihn doch mal heiraten - er - er ist - “
„Er ist der einzige Mann in Ihrem Leben, meinen Sie?“
„Ja“, sagte Eirin erleichtert, dankbar für die Hilfe. „Kann der sich glücklich preisen“, seufzte Fredrik, legte sich im Stuhl zurück und starrte mit einem bitteren Lächeln in den Mundwinkeln in die Luft hinauf.
Eirin wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich peinlich berührt. Gleichzeitig beschlich sie ein sonderbares Gefühl, wenn sie an den gestrigen Abend dachte, an den letzten Tango. „Woran denken Sie, Eirin?“
„An nichts!“ - Sie wurde rot. „Soll ich mal raten?“
Sie gab keine Antwort. Er stützte sich auf den einen Arm. Das kleine Lächeln in den Mundwinkeln war nicht mehr bitter. Es war eher herausfordernd.
„Was bekomme ich, wenn ich richtig rate?“ Sie sah ihn erschrocken an. Er lachte. „Aber nein, haben Sie doch keine Angst! Ich werde ganz umsonst raten. Sie dachten an - “ Er blinzelte sie an, dann öffnete er die Augen ganz und sah ihr ins Gesicht.
Sein Blick ließ sie nicht eine Sekunde los. Er neigte sich näher zu ihr hin.
„Du denkst an gestern abend, Eirin.“ Sie schob ihn zurück. Ihr Herz hämmerte, als ob es zerspringen wollte. Aber er packte die kleine Faust, die sich gegen seine Schulter gestemmt hatte, und hielt sie fest.
„Hast du Furcht vor mir, Eirin? Das brauchst du nicht. Wir haben uns an Bord eines Dampfers kennengelernt und einen wundervollen Abend zusammen verlebt. In einer Stunde gehen wir auseinander -vielleicht sehen wir uns niemals wieder. Wärest du nicht an Halfdan gebunden - nein, ich werde nichts sagen. Eirin, wenn er dich ein ganzes Leben lang besitzen darf, wenn er so reich ist, kannst du dann nicht einem andern eine winzig kleine, glückliche Minute gönnen? -Hast du nicht ein Almosen für einen, der dich darum anfleht?“
Eirin wußte nicht mehr, ob sie jetzt davonlaufen oder ihm nachgeben sollte. Sie schloß die Augen, um wieder Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Da küßte er sie.
In diesem Augenblick schrillte die Dampferpfeife durch die Stille. Tromsö war erreicht.
Halfdan war an Deck gekommen. Auch Frau Taraldsen wollte hier aussteigen. Das Krankenauto stand am Kai und wartete. Halfdan nahm Eirin mit an Land. Sie drückte Frau Taraldsen die Hand und streichelte vorsichtig mit einem Finger eine kleine rote, runzelige Wange.
„Ich möchte gelegentlich Nachricht von Ihnen haben, Frau Taraldsen“, sagte Halfdan. „Schreiben Sie mir ein paar Zeilen, wie es weiter mit der Kleinen gegangen ist. Kreisarzt Dr. Hoek, Frostviken.“
Dann rollte das Krankenauto von dannen.
Eirin wandte sich um. Da stand Fredrik.
„Adio, ihr beiden! Nett, dich mal wiedergesehen zu haben, Halfdan, alles Gute und viel Glück für Frostviken! Vielen Dank für das nette Beisammensein, Fräulein Eirin, gestern und auch heute. Ich freue mich sehr,
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