Schwester Lise
war eine der ersten Fragen, die sie stellte.
„Ja, dann brauchen wir den Herd nicht immer anzumachen“, sagte Lina.
Eirin wollte gerade ihrem Erstaunen Ausdruck geben, da wurde ihr klar, warum es im ganzen Hause so merkwürdig dunkel war. Man brannte überall Petroleum. Es gab kein elektrisches Licht im Haus!
Eirin warf Tante Bertha einen Blick zu. Aber da sagte die Tante mit ihrer ruhigen, gewohnten Stimme:
„Ja, mein Kind, hier gibt es viel Neues, an das man sich gewöhnen muß. Jetzt werden wir beide allerdings zeigen müssen, daß wir wendig genug sind, uns ein wenig umzustellen.“ Im Oberstock war ein riesiger Boden mit einem Giebelzimmer an jedem Ende und ein paar kleinen Kämmerchen an den Seiten - die Schlafzimmer! Was sonst noch in einem Hause nötig war, das war gar nicht im Haus - das lag im Schuppen, der mindestens dreißig Schritte von der Hintertür entfernt stand.
Ja, und da waren dann noch das Sprech- und das Wartezimmer im Untergeschoß! Banger Ahnungen voll folgte Eirin ihrem Verlobten, der sich anschickte, seine künftige Arbeitsstätte in Augenschein zu nehmen. Halfdan sollte doch Instrumente und Sprechzimmereinrichtung von dem verstorbenen Kreisarzt übernehmen. Diese Einrichtung sah so aus: ein alter Schreibtisch, ein braun angestrichener Schrank, ein merkwürdiges Bücherregal aus einer Art Flechtarbeit, ein Waschständer mit Emailleschüssel und Toiletteneimer, ein mit rissigem Wachstuch überzogenes Untersuchungsbett, ein paar Holzsessel ein größerer Tisch voll von häßlichen Flecken und eine Unmenge kleiner und größerer Flaschen.
Bad, Porzellanbecken, elektrisches Licht mit milchweißen Kuppeln, Kamin - all die schönen Dinge, von denen Eirin geträumt hatte, gab es nicht.
Das Wartezimmer war mit einem Tisch und zehn einfachen Lattenstühlen möbliert.
Die Führung war beendet.
Lina Skjarvik bat zu Tisch. Es gab Kalbsbraten mit eingekochten grünen Erbsen und eine Pflaumengrütze, die so fest war, daß man alle Muskeln anspannen mußte, wollte man den Löffel hineinsenken.
Aber Kalbsbraten nach einer langen Reise stimmt immer versöhnlich und ermunternd. Und weder Enttäuschungen noch böses Gewissen können einem frischen jungen Mädchen von einundzwanzig oder einem Mann von achtundzwanzig den Appetit verderben.
Sie redeten nicht viel, aber sie taten dem Essen alle Ehre an.
Tante Bertha sah mit ihren kleinen, klugen Augen von einem zum andern. Sie hob das Rotweinglas.
„Wohlsein, ihr beiden! Und viel Glück! Jetzt wird sich zeigen, ob ihr tüchtig seid und euer gemeinsames Glück aus einem - hm -, einem zähen Material aufbauen könnt! Haltet die Ohren steif!“
Sie leerten die Gläser. Dann lächelte Halfdan der guten Tante zu.
„Es tut nichts, wenn das Material zäh ist, Tantchen, wenn wir nur gutes Werkzeug zum Bauen haben. Und das haben wir. Wir haben Liebe zum Bauen, nicht wahr?“
Eirin setzte sich aufrecht hin und sah Halfdan voll an.
„Wohlsein, mein Guter. Es wird schon gehen!“
Als Eirin spät am Abend in dem einen der Giebelzimmer, das sie mit Tante Bertha teilen mußte, endlich zur Ruhe gekommen war, gingen ihr die letzten Stunden durch den Sinn. Nein, ganz so leicht würde es nicht sein, den Kopf oben zu behalten! Sie lag mucksmäuschenstill, bis sie Tante Bertha gleichmäßig atmen hörte. Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf und weinte lange in ihr Kopfkissen hinein.
Tante Bertha atmete ruhig weiter - verdächtig gleichmäßig.
Tante Bertha war eine kluge Frau. Sie wußte, es gab Schwierigkeiten, mit denen die Jugend ganz, ganz allein fertig werden mußte.
5
Eirin zog den Scheuereimer zu sich heran, wrang den Lappen aus und schob sich mit dem Handrücken die Haarzotteln unter das Kopftuch. Dann legte sie sich wieder auf die Knie und fuhr fort, den Fußboden im Wartezimmer mit der Wurzelbürste zu bearbeiten.
Es gehörte zu ihren Aufgaben, Sprech- und Wartezimmer in einem sauberen und ordentlichen Zustand zu halten. Sie hatte diese Pflicht freiwillig übernommen, aber nachdem sie nun ein paar Wochen in Frostviken gewesen war, verlieh ihr diese Arbeit keinen Glorienschein mehr. Schwere Arbeitsstiefel trugen Schmutz und Matsch in die Räume, die Luft war dick von dem Atem und den Ausdünstungen vieler Menschen, es kamen Leute mit eiternden Fingern und Luftröhrenkatarrhen, und heute war einer da, dem der Magen ausgepumpt werden mußte. Eirin hatte sich übergeben, als sie hinterher den Schlauch auskochte. Und keiner sah eine Heldin in ihr,
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