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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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befinden sich in der Tasche ein Notizblock und ein Kugelschreiber, jeweils mit dem Werbeaufdruck eines Pharmariesen, und ein dicker Band mit den «Abstracts» der Kongressthemen. Die Tasche selbst ist meistens in einem leuchtenden Farbton gehalten, damit man sich auch gleich erkennt, und wenn es ein richtig großer Kongress ist, gibt es sogar Taschen, auf denen in Rot so etwas Pathetisches wie «Wir retten Leben» steht und in die problemlos ein Laptop verstaut werden kann. Locker passt dort noch eine Flasche Wasser mit hinein oder ein bis zwei belegte Brote, die man sich am Frühstücksbüfett im Hotel geschmiert und in eine Serviette gewickelt hat. Die Catering-Stände nehmen schließlich Apothekerpreise für ein schnödes Käsebrötchen, und insofern wäre es ein guter Gedanke, als Dreingabe auch noch eine kleine «Wir-retten-Leben»-Brotbox dazuzulegen, damit die aus dem Brötchen herausquellende Butter nicht komplett den Notizblock oder gar das Handy einsaut.
    Auf dem Vorplatz stehen vereinzelt ältere Herren und blöken lauthals Anweisungen in ihre Handys und demonstrieren ihrem Umfeld ihre ungeheure Wichtigkeit, indem sie lauthals Gerinnungsparameter von Patienten erörtern und den Umgang damit diskutieren. «Aha», denkt ein jeder, «der macht das nicht zum ersten Mal, der weiß Bescheid, und ohne den läuft der Laden nicht.» Und derjenige glaubt das auch selber und lässt demzufolge das Handy lieber an. Wir werden später noch sehen, wohin das führt.
    Wie Vögel um die Tränke stehen die Raucher draußen um die Aschenbecher, frierend die Schultern hochgezogen, in der einen Hand einen Kaffeebecher, in der anderen die Zigarette, Frauen in Kostümen oder Hosenanzügen, Herren im Anzug oder gepflegt-lässiger Freizeitkleidung. Es werden kleine und große Wiedersehen gefeiert.
    «Martin, du hier?»
    «Hey! Susi! Wo hast du denn deinen Mann gelassen?»
    «Wir haben uns vor drei Monaten getrennt.»
    «Oh, sorry.»
    «Kannst du ja nix für.»
    Erste organisatorische Fragen werden geklärt. «Ich will mir mal nachher den Vortrag von Klaus zum Airway-Management anhören», sagt ein Schlacks in Nadelstreifen.
    «Ach, Klaus», winkt eine Brünette im Hosenanzug ab, «ich geh erst mal in Ruhe über die Industrieausstellung, ich bin noch nicht wach genug zum Zuhören.»
    Der Bummel über die Industrieausstellung ist unzweifelhaft eine gute Gelegenheit, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, die Fülle der Angebote, Innovationen und anscheinend absoluten Neuheiten anzugucken und sich von dem Soundteppich aus Gepiepe, Stimmengewirr, elektronischem Geklingel und Gelächter einlullen zu lassen, die immer ein bisschen an den Arbeitsalltag erinnert. Und all die Leute!
    Auf dem Vorplatz spreizen die Erfüllungsgehilfen der Bundeswehr ihr olivfarbenes Gefieder. Diese Institution hat den Auftrag, mit jedem Atemzug und jeder Geste klarzustellen, dass sie weitaus mehr kann, als junge Leute, die sich während ihrer gesamten Schullaufbahn nicht ein Jota für Geschichte interessiert haben, zu «Vaterlandsverteidigern» zu erziehen und sie tagelang durch Gestrüpp, Dickicht und Modder stolpern zu lassen und dabei ohne Unterlass anzubrüllen. Die Bundeswehr demonstriert hier vor Ort, dass sie einen Haufen nützlicher und sinnvoller Dinge parat hat, die sie im Falle einer zivilen Katastrophe auch gerne bereit ist herauszurücken. Glanzlos wird auf Praktikabilität geachtet; junge Frauen in unförmigen Tarnanzügen, zweckmäßigen Steckfrisuren und dicken Stiefeln stapfen um große olivfarbene Zelte, die für den Einsatz im Katastrophenfall dienen oder den Freiheitskämpfern und Brunnenbohrern am Hindukusch eine staubsichere Bettstatt gewähren sollen. Männer mit dem Charme von Schiffschaukelbremsern und schief sitzendem Barett gucken mürrisch herüber zu der feingemachten Gesellschaft am Eingang – und gerade die Herren im schnieken Zweiteiler werden später interessiert die mit allerlei technischem Gerät vollgestopften Zelte inspizieren. Das fasziniert, das riecht nach Abenteuer, Männerschweiß und Revierverteidigung in der großen weiten Welt. Und da will man auch nicht mit kritischen Fragen die Harmonie zerstören. Schade.
     
    Ein kurzer Blick auf die Uhr gemahnt mich zur Eile, denn ich bin mit Frau Anzug inmitten dieses Riesenareals verabredet und weiß kaum, wie ich von A nach B kommen soll. Meine Augen scannen hilfesuchend die Halle nach Hinweisschildern ab, und tatsächlich, es gibt welche! Ich muss Rolltreppe fahren

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