Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
nicht um eine unfallchirurgische Schwerpunktstation handelt. Die eine oder andere Schilderung vom Notarzteinsatz im «Unglücksort Garten» zwingen mich jedoch regelmäßig, mir die einzelnen Verläufe in den schillerndsten Farben vorzustellen, während ich im Garten gemütlich auf dem Liegestuhl in der Sonne brate.
Es gibt zum Beispiel Leute, die in Bäume klettern und Äste abschneiden. Die Säge bekommen sie auch problemlos mit nach oben. Erst dann schauen sie, wo die Ast-Rasur Sinn macht, und vertiefen sich so in ihre Arbeit, dass sie nicht mitbekommen, dass sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Sie segeln nach unten und prallen unsanft mit dem Becken auf die Sandkastenumrandung. Die Motorsäge begleitet sie im ungünstigsten Falle nach unten und verrichtet dort noch die eine oder andere Arbeit. Was die Menschen mit der «Mutter aller Handwerkszeuge» so anstellen, ist wirklich allerhand. Da baut sich jemand eine völlig abstruse Konstruktion aus Seilen und Ketten, in die die Motorsäge eingehängt wird. Sinn und Zweck der ganzen Nummer: Äste absägen, die auf das Dach ragen. Die Motorsäge baumelt in ihrem behelfsmäßigen Halteapparat, der Heimwerker klettert die altersschwache Leiter hinauf. Dann verschafft er sich einen Gesamtüberblick über den Arbeitsbereich und schmeißt mit Schmackes die Motorsäge an. Erst ganz langsam, kaum merklich und auf einmal mit einem satten Rutsch kippt die Leiter inklusive Heimwerker. Der stolze Heimwerkerkönig lässt sein Zepter, die Säge, im Fallen noch los, aber sie gerät in ihrer Seilschaft gehörig ins Schwanken, und beide treffen noch einmal unsanft aufeinander, bevor es endgültig bergab geht. Auf dem Dach brüllt drohend die Säge, auf der Wiese brüllt der Heimwerker, und die Notärztin sucht im Garten Arme.
Beliebt im Arsenal des Hobbygärtners ist auch der Schredder, ein Gerät, mit dem man aus Hölzchen, Stöckchen und dünnem Geäst handliches Kleinholz zaubern kann. Eine Bedienungsanleitung braucht es nicht, die Handhabung scheint auf den ersten Blick mehr als einfach: Werkstoff oben hinein, Kleinholz unten hinaus. Und man kann damit die ganze Nachbarschaft beschallen. Jeder hört es: Dieser Mensch ist fleißig und hat seine Ländereien im Griff. Ich habe keine Ahnung, wie wirr ein Mensch sein muss, um in ein solches Gerät Steine zu werfen. Dann blockiert der Schredder. Wie wirr ist aber erst derjenige, der in das noch immer betriebsbereite Gerät hineinfasst, um den Stein dort herauszupolken? Und sich dann darüber wundert, dass da unten Finger herauskommen?
Kreissägen werden von Menschen auf Spanplatten gestellt, die sie zuvor auf Bierkästen gelegt haben. Mit einem eleganten Satz hüpft das unhandliche Gerät bei Inbetriebnahme von der Spanplatte, kippt nach vorne, und da steht – der Heimwerker. Das wird sicher mehr geben als nur eine kleine Schramme, zumal die meisten auf das Tragen protektiver Beinbekleidungen wie Schnittschutzhosen – obwohl marktschreierisch im Baumarkt angepriesen – verzichten. Der Erwerb eines solch protektiven Bekleidungsstücks setzt ja im Allgemeinen auch voraus, dass man das Wort «Schnittschutzhose» problemlos auszusprechen vermag. Wer beim ersten Versuch jedoch schon mit «Schitt…» anfängt, wird im Baumarkt Hemmungen haben.
Und nun stellen wir uns einmal vor, wie ich im Garten in meiner Liege herumhänge, links die Zeitung, rechts Bücher, auf meinen Beinen die friedlich schlafende Katze. Würde es nicht aus allen Himmelsrichtungen dröhnen und sägen, wäre es der Frieden auf Erden. Wie wäre es wohl, wenn ich nach abrupt eintretender Stille auf einmal Hilfeschreie und Klagerufe hören würde? Wenn mit großem Weh und Ach jemand versuchte, die Lage in den Griff zu kriegen und riefe «Ruf den Notarzt, schnell!»?
Ob es mir wohl gelänge, mich aus meiner Position zu erheben und Sinnstiftendes in die Wege zu leiten? Bin ich «Notarzt»? Bliebe ich einfach liegen und dächte «Nee, ich hab jetzt frei»?
Es wäre vorstellbar.
Ich bin mittlerweile zu der Ansicht gelangt, dass die Baumarktbranche gut daran täte, sämtliche Gefahren und Verletzungsmuster einmal auf handliches Papier zu drucken und an den jeweiligen Geräten gut sichtbar zu fixieren. Am besten auf laminiertem Hochglanzpapier, da kommen die Farben besser zur Geltung. An jedem Gerät könnte ein anderer Aufkleber mit einer typischen Verletzung prangen. Ein Stumpf des soeben abgesägten Armes, zwei Fingerchen im Fangkorb des Schredders, ein
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