Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Qualitätsmanagement aber auch gar nicht dafür, denn eines seiner großen Ziele besteht darin, eine Zertifizierung zu bekommen – eine Zertifizierung, die verdeutlicht, wie toll, effizient, familienfreundlich und was weiß ich nicht was noch alles das Krankenhaus ist, in dem wir alle arbeiten. Um ein solches Zertifikat zu bekommen, müssen sich alle ganz viel Mühe geben, es kommen Herren in schicken Anzügen und stellen Fragen.
«Wissen Sie denn, wo der Feuerlöscher hängt?»
«Können Sie den Defibrillator bedienen?»
Und dann winken sie lachend ab, wenn man es ihnen zeigen will. Es gibt sogar Kliniken, die an diesen Tagen den Kollegen frei geben, von denen freche Antworten zu erwarten sind. Und wenn es geklappt hat mit dem Zertifikat, dann steht es natürlich auch in der Zeitung, und alle sind erleichtert.
Mittlerweile lassen sich diese Zertifikate auch gut ins Ausland verkaufen, denn obwohl der Deutsche als Feriengast zwar eher als chronischer Nörgler bekannt und gefürchtet ist, so profitiert man andererseits jedoch gerne vom Fleiß und der Gründlichkeit dieser Menschen und hofft auf eine veritable Profitsteigerung, wenn man sich ein deutsches Zertifikat an die Kliniktür pappt. Es garantiert dem deutschen Schnäppchenjäger – «Die Augenoperation kostet in Thailand höchstens die Hälfte!» – ein Sicherheitsgefühl, in eine von den eigenen Landsleuten zertifizierte Klinik zu gehen. Schon das Formular an sich lässt sie glauben, dass die hygienischen und pflegerisch-medizinischen Standards denen in Deutschland entsprechen.
Ist der Betrieb erst mal zertifiziert, ist es völlig egal, wie die Versorgung der Patienten vonstattengeht, und es gibt immer noch Kliniken, die in ihren Stellenausschreibungen betonen, sich um eine «ganzheitliche Versorgung» zu bemühen. Darüber kann ich nur herzlich lachen. Die Patienten, Herr Müller oder Frau Meyer, sind als Persönlichkeit primär vollkommen uninteressant; was wirklich von Belang ist, sind die Befunde und was man alles machen kann und muss, damit diese beiden Personen bald wieder nach Hause entlassen werden können. Man erwartet, dass Herr Müller seine Herzoperation ohne Komplikationen übersteht, damit er nicht durch Folgebehandlungen und die Blockierung eines teuren Intensivbettes noch zusätzliche Kosten verursacht. Und exakt das funktioniert in den wenigsten Fällen, denn erstens ist Herr Müller keine Maschine, zweitens hat er ein paar Begleiterkrankungen, die für zusätzliche Probleme sorgen könnten, und drittens verliert Herr Müller nach der OP ein bisschen den Durchblick und seinen Realitätssinn und zeigt plötzlich das Vollbild eines Durchgangssyndroms.
Für die Geschäftsführung ist Herr Müller hingegen ein kostspieliger Bettenblockierer, wegen dem eine geplante Operation abgesetzt werden muss, weil kein Bett zur Verfügung steht. Patienten, die nicht in der errechneten und geplanten Zeit wieder von der Intensiv- oder der Normalstation verschwinden, sind lästig, weil kostspielig – ganz gleich, ob es der verwirrte Herr Müller ist, eine alkoholkranke Frau Meyer, die plötzlich delirant wird, oder eine Frau, die im Wundabstrich resistente Keime aufweist und zwei Wochen im Isolierzimmer verbringt. Spätestens hier wird mehr als deutlich, dass es weder um den Einklang von Körper, Geist und Seele der Patienten, noch um die Gefühle der Pflegenden und der Ärzte geht. Daher wäre es ehrlicher, die blumige Wirkung des Begriffes «Ganzheitlichkeit» einzutauschen in «bestmögliche Versorgungsversuche unter Zeitdruck».
Sparzwang und Personalabbau bezieht sich, wie wir alle wissen, nicht ausschließlich auf Krankenhäuser. Wissenschaftler, die in gutem Lohn und Brot stehen, sind sich nicht zu dumm dafür, in aller Ruhe auszurechnen, dass Arbeitslose eigentlich mit noch viel weniger Geld auskommen könnten, wenn sie nur auf das Rauchen und Biertrinken verzichten würden. So schafft sich das System mit dem Prekariat eine Bevölkerungsgruppe, auf der es sich nach Herzenslust herumtrampeln lässt, um selber draußen qualmend unter einem Heizpilz das Leben zu genießen.
Den wütenden Aufschrei nach der Bundestagswahl, es käme nun zu einer Zwei-Klassen-Medizin, habe ich relativ entspannt ausgesessen. Diese Art Medizin gibt es schon lange; was wir jetzt erleben, ist das Finish. Zunehmend berichten die Notärzte von völlig verarmten alten Menschen, die etwa zehn Tage bis zur nächsten Rentenzahlung von einem Laib Brot leben müssen. Sie
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