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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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alles auf einmal hat? Ob sich der Gesundheitsexperte wohl für diese Sachfragen interessiert?
    Interessiert sich dafür die Geschäftsführung? Nein. Es ist auch nicht ihre Aufgabe, karitativ zu agieren, auch wenn sie sich manchmal so präsentiert – zum Beispiel in Informationsblättern, in denen betont wird, man wisse, «dass schwere Zeiten auf uns zukommen». Der Witz daran ist, dass es nur bestimmte Berufsgruppen sind, auf die diese schweren Zeiten zukommen. Weder die Geschäftsführung noch die ganzen Kalkulatoren versorgen die Patienten, sondern das Krankenpflegepersonal, die Ärzte, die Röntgenassistentinnen, die Laborantinnen, die Frauen aus der Großküche – und vielleicht sollte ich betonen, dass es sich gerade bei diesen Stellen um Frauenarbeitsplätze handelt. Die werden dann von Leiharbeitsfirmen übernommen, die sich mit der Unterbezahlung ihrer Angestellten eine goldene Nase verdienen. Die Leiharbeiterinnen haben keine Chance, sich in ein Team einzufinden, und so organisieren sie sich nicht mehr und protestieren nicht, denn sie sind dankbar, dass sie ihre Arbeit nicht gänzlich verloren haben. Politisch könnte man von einem Backslash reden, denn wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, verschwinden als Erstes die Frauen von der Bildfläche und kümmern sich endlich um die Gründung einer Familie. Damit sichern sie ihren Ehegatten andererseits eine lupenreine Biografie – verheiratet und Kinder –, die ihnen beim Gerangel um die obersten Sprossen der Karriereleiter behilflich ist.
     
    Damit nun dieses Szenario nicht rund um die Uhr als Horrorfilm erscheint, gibt es diverse Instanzen, die den Ablauf einer Klinik schönreden, und eine davon ist das sogenannte «Qualitätsmanagement». Böse Zungen behaupten, man solle doch erst einmal für Qualität sorgen, bevor man sie «managt», und ich teile diesen Eindruck, weil die Qualität, die wir gerne bei der Patientenversorgung hätten, immer schwieriger zu erreichen ist. Dessen ungeachtet aber wursteln sich die Damen und Herren aus dem Qualitätsmanagement in aller Ruhe ein Traumkrankenhaus zurecht, in dem alle mit allen sprechen und verhandeln und in dem es für jedes Problem eine adäquate Lösung gibt. Sie werden nicht müde, in diversen dafür geschaffenen Stabsstellen kryptisch klingende Statements auf bunten Zettelchen für jedermann lesbar an die Flipcharts zu kleben. Oft ist eines der Statements «Transparenz», dann steht wahrscheinlich ein Termin mit den Fensterputzern an.
    Im technischen Bereich ist ein Qualitätsmanagement durchaus sinnvoll: Bricht bei einem Flugzeug im Betrieb die Tragfläche ab oder fliegt eine Wurstmaschine überraschend auseinander, wird man versuchen, mit den entsprechenden Fachleuten herauszufinden, woran es denn gelegen haben könnte, und verhindert so eventuell mit neuen Schräubchen und Druckventilen weitere Katastrophen. Aber so simpel funktioniert das Qualitätsmanagement im Dienstleistungsbetrieb leider nicht, denn man kann weder bei den Angestellten noch bei den Patienten zu hundert Prozent genau voraussagen, wie sie sich verhalten werden. Wird die verunsicherte junge Assistenzärztin in ihrem ersten Bereitschaftsdienst die Übersicht behalten oder zum Nachteil der Patienten den Faden verlieren, weil sie sich nicht traut, einen Kollegen um Rat zu fragen? Wird die Patientin nach der Notfall-Bypass-Operation nachbluten oder nicht? Bemerkt der übermüdete Kollege, dass die Infusion viel zu schnell läuft? Rutscht eine Kollegin auf dem Linoleumboden auf einer Lache Urin aus, weil der Verschluss des Katheterbeutels defekt ist? Und muss der andere Kollege in die Ambulanz und dann nach Hause, weil er von einem psychotischen Patienten einen Fausthieb in die Rippen kassiert hat? Wird der Dienst so ruhig bleiben, oder wissen wir nach einer Stunde nicht mehr, wo oben und unten ist?
    Das Qualitätsmanagement verhält sich nicht dazu, dass das Pflegepersonal aller Stationen massiv überfordert ist und sich Pflegefehler zunehmend häufen: Da wird die Entstehung eines Druckgeschwürs bei einer bettlägerigen alten Frau übersehen, in all der Hektik eine falsche Medikamentendosierung verabreicht, es wird die ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit oder Schmerzmedikamenten verschwitzt – und das, obwohl sich haufenweise Mappen mit sorgfältig ausgetüftelten Pflegestandards auf jeder Station befinden. Es kommt nur niemand mehr dazu, sich auch noch damit zu befassen.
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