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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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wissenschaftlichen Vorträge und die Posterpräsentationen von irgendwelchen Wichtigtuern mit großem Latinum prämiert, und dann sind wir dran, der Star und ich. Wir wären schick angezogen und hätten tolle Frisuren. Wir bekämen eine Urkunde, einen üppigen Blumenstrauß und selbstverständlich auch eine kleine Prämie. Aber dann schießt Hippo den Vogel ab – sie fände ein Public Viewing ungleich erfolgversprechender; man könne die Reanimation auf einer Großbildleinwand im Café zeigen und bei gutem Wetter draußen, wie bei der Fußball- WM . Und die Leute könnten dann in Ruhe noch ein Stück Torte weghauen, während auf der Leinwand die Post abgeht. Der Star und ich gucken Hippo an und fangen schallend an zu lachen. Die Vorlage hat sie sauber ins Tor gedreht. Prompt bessert sich die Stimmung. Wir überlegen, einfach draußen zu bleiben, gehen aber doch wieder hinein. Die Halbzeit ist vorbei. Das Bier gibt es später. Brezeln sind aus.
     
    «Ätzend, einfach ätzend», macht sich Frau Anzug vor dem Zimmer halblaut Luft, «die Frau ist nur zehn Jahre älter als ich, das ist einfach Scheiße.» Wo denn der Mann sei, frage ich. Der wäre gerade unterwegs, seinen besten Freund abholen. «Waaas? Der fährt jetzt Auto? Der ist doch völlig fertig!», echauffiere ich mich, aber Frau Anzug hat sich versichern lassen, dass seine Begleitung ihn fährt, das habe er selbst so gut es ging noch organisiert. Jetzt holt er sich die Verstärkung, die er braucht. Das kann ich verstehen und hoffe nur, dass die Frau so lange stabil bleibt, bis er wieder da ist. Frau Anzug sieht dafür schwarz.
    Ich linse um die Ecke. Die Frau Schnabel lächelt mich verschlafen an und sagt freundlich «Guten Tag!» Das Hippo kommt herbeigeeilt. Sie hat ein Kännchen Tee dabei und irgendwo in der Küche noch ein Stück Kuchen ergattert und fängt an, Frau Schnabel beim Hinsetzen behilflich zu sein, legt ihr die Decke um die Schultern und kämmt ihr die Haare. Alles ganz ruhig und liebevoll. Ich finde plötzlich, dass Hippo durchaus Qualitäten hat, und die Public-Viewing-Geschichte war auch ein echter Knüller. Anscheinend hat sie jetzt aber auch gecheckt, wo heute der Hase langläuft, und macht ihre Sache richtig gut. Die alte Frau schlürft geräuschvoll ihren Tee und gibt einen genießerischen Laut von sich. Draußen sitzen jetzt mehrere Meisen und schielen neidisch auf den Kuchen.
    Ich versuche all das, was wir bisher gemacht haben, in irgendeiner Form chronologisch auf dem riesigen Kurvenblatt zu dokumentieren, die Dosierungen der Medikamente auf den aktuellen Stand zu bringen, die Beatmungsparameter, Daten, Zahlen, Fakten. Ich reduziere die Frau auf eine Zahlenmenge, Urinausscheidung in Millilitern, mehr kommt da nicht mehr, die Bezifferung von diesem und jenem und dann diese gruseligen Pupillen. Ich gucke sie mir nochmal an, ja, die sehen immer noch genau so aus. Aber wieso sollte sich das auch geändert haben?
    Während ich also versuche, mich zu konzentrieren und mich hinter diesem Schutzwall aus Zahlen zu verschanzen, höre ich die sonore Stimme des Vollbarts im Flur und gucke um die Ecke: Der Vollbart geht so, als hätte man hinten an seinem Kittel Fäden befestigt, an denen ihn jemand ein bisschen nach hinten zieht. Es ist ihm deutlich anzumerken, dass er gar nicht in dieses Zimmer möchte, denn er weiß genau: Wenn er hier hineingeht, kommt er da so schnell auch nicht wieder hinaus, und es wird böse enden. Und tatsächlich: Kaum haben wir Luft geholt, um uns zu begrüßen und uns über die Sachlage auszutauschen, fängt das Herz der Frau wieder an zu flimmern.
    Wir fangen wieder von vorne an; ich drücke in regelmäßigen Abständen auf den Brustkorb der Frau, obwohl es mir vollkommen blödsinnig erscheint, der Star kommt angerannt. Sie kommt mit ihrer eigenen Arbeit überhaupt nicht voran. «Oh nein!» entfährt es ihr und sie rennt los, wieder der Zickzack-Parcours durch die Besucher, um weitere Spritzen aufzuziehen, um die der Vollbart sie bittet. Man spürt geradezu seinen Zweifel, seine Stirn ist diagonal von einer Falte zerfurcht. Er sieht aus wie ein altgriechischer Denker, der an einer richtig harten Nuss zu knacken hat, und im Gegensatz zum Satz des Pythagoras oder ethischen Grundgedanken ist das, was wir da gerade tun, von sehr geringem Nutzen.
    Es fühlt sich auf einmal an, als würde ich auf einer dieser Puppen aus dem Erste-Hilfe-Kurs herumdrücken, diese Puppen, die meistens keine Beine haben, sondern nur angedeutete

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