Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
ist eine ziemliche Schufterei, bei der mir der Star behilflich ist. Damit der Mann nicht mit seinem Gesicht auf dem Beatmungsschlauch liegt, muss auch dieser in die Seite des Mundwinkels gelegt werden, die nicht am Kissen aufliegt. Der Star hebt Herrn Karamoglu an den Schultern an, und ich drehe vorsichtig seinen Kopf auf die rechte Seite, lege den Tubus in den linken Mundwinkel. Obwohl ich vorher alles fein säuberlich auseinandersortiert habe, drohe ich mich trotzdem in den Zuleitungen des zentralen Venenkatheters und der Magensonde zu verheddern. «Ich kann den nicht mehr lange halten», ächzt der Star, und ich beeile mich schwitzend, das ganze Gestricke zu entwirren. Außer Puste stehen wir neben Herrn Karamoglu, dessen Gesicht von der Bauchlage ganz zugeschwollen ist.
Wir legen eine aufgerollte Bettdecke unter seine rechte Körperhälfte, damit er nicht gänzlich auf den Bauch rutscht und der Beatmungsschlauch womöglich doch noch abknickt. Ich bedanke mich beim Star für ihre Hilfe. Eine Bauchlagerung ist wirklich jedes Mal anstrengend, und man bräuchte eigentlich acht Arme für die ganzen Dinge, die gleichzeitig zu tun sind.
Wir sind zufrieden, dass wir es mit nur vier Armen geschafft haben, und werfen unsere Plastikschürzen in den Müll, waschen und desinfizieren uns die Hände. Dann halten wir unsere Nasen in den Flur: Es duftet nach frisch gekochtem Kaffee!
Weil vorerst nichts weiter zu tun ist, setzen der Star und ich uns mit unseren dampfenden Kaffeetassen an den Hauptarbeitsplatz vor den Stationscomputer und suchen im Internet ein Handy für ihre Oma. Das Licht ist gedimmt, und auf der Arbeitsplatte des Schreibtisches stehen und liegen die typischen Nachtdienstutensilien herum: eine Schale Kekse, Kaffeetassen, das Kreuzworträtsel aus der Tageszeitung und eine Tüte mit Wolle, die dem Giftzwerg gehört. Dazwischen stehen drohend die beiden Telefone – wehe, sie stören jetzt!
Nun findet sich endlich auch das Terror-Duo zusammen. Bei Kaffee und Keksen nehmen sich die beiden zum Aufwärmen den Dienstplan vor, auf dem die etwa sechzig Namen aller Kolleginnen und Kollegen inklusive der dazugehörenden Dienste notiert sind. Gewissenhaft wird der Plan gescannt, und das Terror-Duo wird sogleich fündig: «Hier, guck, die hat auch fast wieder nur Nachtdienste, das ist doch nicht normal!»
«Und die hat nur Spätdienste – das sind wieder die Leute, die morgens keinen Bock zum Waschen haben!», ereifert sich der Putzteufel.
«Ich begreif das nicht», schüttelt die Eiferin den Kopf, «wir haben doch früher auch alle Schichten gearbeitet, und die jungen Kollegen machen das so, wie es ihnen am besten in den Kram passt!»
Die alte Leier wieder. Der Giftzwerg hockt müde auf einem der Bürostühle und strickt wie ein Roboter am Ärmel eines Pullovers, guckt finster und atmet geräuschvoll aus, aber das Terror-Duo reagiert nicht. Das scheint ohnehin in deren Vereinssatzung zu stehen, dass auf Widerstand erst mal nicht reagiert, dann aber keifend zugeschlagen wird, wenn der Ungehorsam allzu sehr ausufert.
Ich drehe mich schließlich um: «Ich mache auch fast nur noch Spät- und Nachtdienste.»
«Ja, aber du machst das auch schon ein paar Jährchen», rechtfertigt die Eiferin ihre Übergriffigkeit, «die Youngster haben doch noch nicht mal Schlafstörungen!»
«Lass die mal erst mal Kinder haben, dann wissen sie auch, was Nachtschicht ist», schlaumeiert der Putzteufel, und die Eiferin lässt ein keckerndes Lachen hören.
Das darf man natürlich niemals vergessen: Beide sind Mütter. Und über Mütter lacht man nicht, sondern bewundert und bemitleidet sie für ihren virtuosen Umgang mit der Doppelbelastung. Ihre Ehemänner hatten zwar zu Beginn der Schwangerschaft vollmundig angekündigt, ein Jahr zu Hause zu bleiben, dann aber fiel ihnen plötzlich auf, dass sie ja viel mehr verdienen als die Frau und änderten ihre Meinung. Und so sind die Eiferin und der Putzteufel artig zu Hause geblieben und versuchten mit einer halben Stelle nach dem Erziehungsurlaub im Beruf zu bleiben. Sie werden niemals müde zu betonen, dass sie das auch ganz gut hingekriegt haben.
Ich bin sehr froh und dankbar für meine Schlafstörungen, denn dafür haben sie Verständnis – sie scheinen sogar Verständnis dafür zu haben, dass ich weder Kind, Mann noch Haus will, sondern sie mögen mich offenbar. Das macht mir am meisten Sorgen, denn ich befürchte, sie könnten mich auch für eine Superschwester halten, die nichts
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