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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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nicht haargenau so zu arbeiten wie die Eiferin, und erst recht nicht in deren Tempo.
    Hunderte von Menschen hatte der Giftzwerg auf ihrer vorherigen Station schon gewaschen, und so dachte sie sich nichts dabei, als sie im Frühdienst bei Frau Becker, einer beatmeten Patientin, mit der Ganzkörperwaschung anfing.
    «Bei der Mundpflege und dem Beatmungstubus brauche ich dann Hilfe, das habe ich noch nie gemacht», sagte sie, und jeder normale Mensch hätte so etwas wie «Alles klar, wenn du Hilfe brauchst, melde dich, ich bin nebenan» gesagt.
    Nicht so die Eiferin: Sie guckte argwöhnisch und rannte nun alle paar Minuten in das Zimmer von Frau Becker, bis sie es endlich geschafft hatte – der Giftzwerg wurde immer nervöser. Erst fiel ihr der Waschlappen auf den Boden, dann stieß sie sich den Kopf am Monitor und hätte beinahe Haftcreme auf die Zahnbürste der Patientin gedrückt, wenn die Eiferin nicht dazwischengefunkt hätte.
    In der Pause behauptete die Eiferin coram publico, der Giftzwerg sei «unkonzentriert und ü-ber-haupt nicht bei der Sache».
    Sie kam natürlich nicht auf die Idee, dass das Problem auch ihrer didaktischen Beschränktheit zuzuschreiben war. Zunehmend unsicherer wurde der Giftzwerg, denn die Eiferin verlangte viel. Die Einweisung in die technischen Finessen der Infusions- und Spritzenpumpen und des Beatmungsgeräts führte sie in einem Tempo durch, dass die neue Kollegin kaum zu Atem kam, geschweige denn zu einer Frage.
    «Hier geht die Pumpe an», das Gerät piept, «so stellt man das Gesamtvolumen ein», klackklackklack, fertig, «und hier die Tropfenzahl pro Stunde», zack, fertig!
    Dermaßen eingeschüchtert und überfordert, konnte der Giftzwerg in der kurzen Zeit der Eiferin immer weniger gerecht werden, was diese persönlich nahm und nach knapp zwei Wochen mit den Worten «Nee, also, ich weiß nicht, wer die eingestellt hat!» empört aufgab. Völlig durcheinander und den Tränen nah saß der Giftzwerg damals draußen beim Rauchen.
    «Ich mach alles falsch! Ich hab sie mehrere Male gebeten, etwas langsamer zu machen, aber ständig kam dieses ‹Wir haben hier keine Zeit, das sitzt am besten, wenn du es in Echtzeit lernst›! Ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin …»
    Echtzeit! Was für ein hanebüchener Schwachsinn! Alle kommen bei diesem Arbeitsaufwand in der «Echtzeit» ins Schleudern, der Star, der Giftzwerg, die Ärzte, und die Eiferin erst recht – fast jeder Dienst ist ein einziger Schleudergang! Das sagte ich auch dem Giftzwerg, die zum ersten Mal seit Tagen wieder lächelte.
    Die verbliebene Einarbeitungszeit übernahm dann die Bohnenstange, und die Eiferin ließ es sich nicht nehmen, noch mehrmals auf die Unfähigkeit der neuen Kollegin hinzuweisen.
    Die Bohnenstange schüttelte dann den Kopf und zuckte verständnislos mit den Schultern. «Nö, die macht das echt gut. Vielleicht hast du einfach nicht so viel Geduld, kann das sein?»
     
    Eine weitere Baustelle der Superschwester ist der Tratsch – aus ihrer Sicht evidenzbasierte Gemeinschaftskunde. Da keine schon so lange dabei ist wie sie, hat auch niemand so umfassend Überblick über all die internen Entwicklungen und Verwicklungen der letzten Jahre, und da ist die eine oder andere Zwischenbilanz von großer Relevanz. Am besten eignet sich dafür der Nachtdienst, der von allen drei Schichten oft noch der ruhigste ist. Nach der pflegerischen Versorgung der Patienten und den Eintragungen in die Kurvenblätter kann man sich ganz ungezwungen an den Hauptarbeitsplatz begeben und sich den Aktualitäten zuwenden. So auch in dieser Nacht, zu deren Beginn ich mit leisem Grausen festgestellt habe, dass ich zwei Drittel vom «Terror-Rondell» an meiner Seite habe: die Eiferin und den Putzteufel.
    Ich betreue zwei beatmete Patienten: Frau Dietrich, die aufgrund eines Herzinfarktes bei ihrer wöchentlich stattfindenden Damen-Doppelkopf-Runde plötzlich vom Stuhl gesunken, von den Mitspielerinnen vorbildlich reanimiert wurde und nun allmählich wacher wird. Sie ist zwar ansprechbar und reagiert adäquat, aber die Überreste der Narkose lassen sie noch ein bisschen benebelt erscheinen.
    Im Nachbarzimmer liegt Herr Karamoglu, der bei einem Betriebsunfall eine Rauchgasvergiftung erlitten hat und mit einem schweren Lungenversagen zwölfstündlich auf den Bauch gelagert werden muss, um den Gasaustausch im Lungengewebe zu gewährleisten. Alle drei Stunden muss der Kopf des Patienten auf die andere Seite gedreht werden, und das

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