Schwesterlein, komm stirb mit mir
mich in der Hand.» Er fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn.
Der Mann hatte recht, aber das musste man ihm ja nicht auf die Nase binden. Stadler zählte an den Fingern ab. «Sie haben erstens ein Motiv, denn Ihre Frau hat Sie über ihre wahre Identität im Dunkeln gelassen, als sie Sie heiratete. Darüber waren Sie verständlicherweise geschockt. Zweitens haben Sie 50000 Euro abgehoben, über deren Verbleib Sie uns nichts sagen möchten, und drittens berührt Sie der Tod Ihrer Frau nicht im geringsten, Sie möchten nur so schnell wie möglich wieder zurück zu Ihrer Ausgrabung.»
«Ja und? Damit bekommen Sie niemals einen Haftbefehl.»
«Wollen Sie es darauf ankommen lassen?» Stadler fixierte sein Gegenüber herausfordernd. Er hatte hoch gepokert. Doch er setzte darauf, dass Krämer die schwächeren Nerven hatte, weil für ihn mehr auf dem Spiel stand.
«Sie können mir keine Angst einjagen. Ich kenne meine Rechte.» Krämer stand auf.
Birgit wollte sich ebenfalls erheben, doch Stadler bedeutete ihr, sitzen zu bleiben.
Krämer ging zur Tür, griff nach der Klinke, stockte.
Stadler hielt die Luft an.
Langsam drehte Krämer sich um. «Die 50000 waren für ein Mädchen», gestand er kleinlaut.
Stadler nickte, als hätte er das bereits gewusst. «Setzen Sie sich doch wieder.»
Krämer kehrte an seinen Platz zurück.
«Erzählen Sie», forderte Stadler ihn auf.
«Bei den Ausgrabungen sind immer jede Menge junge Studentinnen dabei», erklärte Krämer mit gesenktem Blick. «Eine von denen hat sich an mich herangemacht. Im Frühjahr, als wir zum ersten Mal in Peru waren, um alles vorzubereiten. Ich – ich hatte einen schwachen Moment. Und dann hat sie behauptet, ich hätte sie vergewaltigt. Dieses Miststück. Sie hat es darauf angelegt. Ist halbnackt in meinem Wohnwagen aufgekreuzt, weil sie angeblich dringend etwas wissen musste. Mitten in der Nacht.» Er lachte bitter. «Jedenfalls hat sie nachher ein furchtbares Theater gemacht, und ihr Freund tauchte eines Tages bei mir auf und verlangte Schmerzensgeld. Ja, so hat er es genannt. Schmerzensgeld. Dieser scheinheilige Bastard. Ich habe ihn davongejagt, aber er hat gedroht, mich anzuzeigen. Es hätte keine Beweise gegeben, wäre niemals zu einer Verurteilung gekommen, aber mein Ruf wäre ruiniert gewesen. Also habe ich dem Scheißkerl das Geld gegeben und ihn und seine Schlampe aufgefordert, für immer aus meinem Leben zu verschwinden. Das war drei Tage bevor ich wieder nach Peru aufgebrochen bin. Am 16 . August, um genau zu sein. Zufrieden?»
«Wir brauchen den Namen der Studentin und auch den ihres Freundes», sagte Stadler. Er schob Krämer Block und Stift hinüber. Es war zum Kotzen. Irgendetwas tauchte immer auf, wenn man im Dreck wühlte, auch wenn es nicht das war, wonach man gesucht hatte.
Als Krämer gegangen war, ließ Birgit sich auf dem Schreibtisch nieder und trank ihren letzten Schluck Kaffee. «Glaubst du ihm?», fragte sie.
«So eine Geschichte denkt man sich nicht aus, um sich aus einem Mord herauszureden», antwortete Stadler. «Ja, ich schätze, er hat die Wahrheit gesagt. Außerdem kennst du ja meine Meinung: Er war total schockiert, als wir ihm das mit der Geschlechtsumwandlung erzählt haben. Er wusste es nicht.»
«Er könnte auch einfach ein guter Schauspieler sein.» Birgit stellte den Kaffeebecher ab.
«Den unschuldig Verführten hat er aber nicht besonders überzeugend gespielt.»
«Glaubst du, er hat das Mädchen vergewaltigt?»
Stadler zuckte die Schultern. «Das werden wir wohl nicht mehr feststellen können. Ist auch nicht unser Job.»
«Zu dumm, er war unser einziger Verdächtiger.» Birgit hüpfte vom Tisch. «Gleich ist Teambesprechung. Mal sehen, wie die anderen vorangekommen sind. Vielleicht hatte ja einer von denen mehr Glück.»
«Das wage ich zu bezweifeln.»
«Du glaubst immer noch an den Serienkiller?»
«Es gibt einfach zu viele Parallelen zwischen den beiden Fällen.» Stadler schob die Unterlagen zusammen.
«Aber die Kollegen haben den Transvestitenmörder verhaftet, sie sind sich sicher, dass sie den Richtigen haben. Und der saß hinter Gittern, als Leonore Talmeier starb.» Birgit sammelte die Becher ein.
«Dann ist er nicht der Richtige.» Stadler stand auf.
«Sturkopf.»
«Immer gern.» Er lächelte.
Die Teambesprechung brachte nichts Neues, und gegen vier Uhr schickte Stadler alle nach Hause. Immerhin war Wochenende, und einige Kollegen hatten Familie. Ihn hingegen erwartete
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