Schwesterlein, komm stirb mit mir
Packungen Zigaretten. Deborahs Gesellschaft war ziemlich anstrengend, trotzdem konnte Liz sie gut leiden, denn sie war aufrichtig und geradeheraus. Und ihre einzige echte Freundin.
Deborah hatte Philosophie und Germanistik studiert, allerdings eher aus Verlegenheit als aus Berufung. Schon während des Studiums hatte sie aus ihrer eigenen Not eine Tugend gemacht und angefangen, Selbstfindungsworkshops anzubieten. Inzwischen lebte sie davon, Menschen, die sich beruflich oder privat verändern wollten, zu beraten. Sie nannte sich Life Coach und konnte sich vor Aufträgen kaum retten.
Manchmal kam es Liz so vor, als sei Deborah schon immer Teil ihres Lebens gewesen, dabei war es noch keine zehn Jahre her, dass es eines Abends an ihre Zimmertür im Studentenwohnheim geklopft hatte. Draußen hatte eine tropfnasse junge Frau gestanden, die etwas von einer defekten Wasserleitung stammelte und nach einer Zange fragte. Gemeinsam hatten sie den Schaden behoben, sich danach in Wolldecken gehüllt und es sich auf dem noch feuchten Boden bequem gemacht. Sie hatten zusammen eine Flasche Rioja geleert und sich angefreundet – obwohl sie gegensätzlicher nicht hätten sein können. Auch nachdem Deborah nach München gezogen war, riss der Kontakt nicht ab.
Mitunter spielte Liz mit dem Gedanken, Deborah alles zu erzählen, auch das, worüber sie nie wieder hatte sprechen wollen. Doch jedes Mal, wenn ihr der Gedanke kam, schob sie ihn rasch wieder fort. Deborah mochte ihre beste Freundin sein, doch nicht einmal ihr vertraute sie vollends. Sie traute ja nicht einmal sich selbst.
Liz hob ermattet den Kopf. Gerade wollte sie den Zündschlüssel abziehen, als es an das Seitenfenster klopfte. Deborah. Rasch öffnete Liz die Tür, stieg aus und umarmte ihre Freundin.
«Habe ich dich geweckt?», fragte Deborah lachend. Sie sah wie immer umwerfend aus, trug das halblange blonde Haar modisch zerzaust, einen kurzen schwarzen Mantel, Minirock und schwarze Stiefel.
«Ich hatte eine anstrengende Woche», antwortete Liz.
«Wem sagst du das», stieß Deborah mit einem Seufzer hervor und öffnete die Kofferraumklappe, um ihren Koffer zu verstauen. «Ich habe die Hölle hinter mir. Stress mit einem Klienten, der mich dafür verantwortlich macht, dass seine Ehe gescheitert ist, und komplizierte Gespräche mit einem anderen Kunden, einem Automechaniker, der unbedingt als Tänzer Karriere machen will und sich für Nurejew hält.»
«Nurejew? Der will zum Ballett?»
«Na ja, er hält sich wohl eher für Michael Flatley. Jedenfalls begreift er nicht, dass der Zug für ihn längst abgefahren ist. Und dann ist da auch noch Nadine. Ich sage dir, Nadine ist die Hölle.» Deborah warf ihr Gepäck in den Kofferraum, fischte ein Päckchen Zigaretten aus der Manteltasche und steckte sich eine an. «Nadine macht mich fertig. Sie ist der Deckel zu meinem Sarg.» Sie blies Rauch in die Luft.
«Und diese Dinger sind die passenden Nägel», bemerkte Liz trocken und deutete auf die Zigarette in Deborahs Hand.
Deborah grinste. «Stimmt. Andererseits wäre ich ohne die Kippen längst tot. An einem Herzinfarkt krepiert. Glaub’s mir.» Sie rauchte schnell und gierig, während sie weitererzählte. «Nadine ist der Hammer, ehrlich. Was diese Frau alles erlebt hat. Missbrauch. Prostitution. Drogensucht. Mehrere Suizidversuche. Einmal hat ein Freier sogar versucht, sie umzubringen. Aber sie gibt nicht auf. Leider weiß sie nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Vor einem Monat erzählte sie mir freudestrahlend, dass sie mit Tieren arbeiten möchte. Und vorgestern rief sie an, völlig aufgelöst, weil sie die Verantwortung für ein anderes Lebewesen nicht aushält. Dabei hatte sie schon eine Lehrstelle in einem Zoo in Aussicht. Jetzt will sie auf einmal töpfern, was Kreatives machen.»
«Kreativ klingt doch gut.»
«Mag sein, aber Nadine findet garantiert wieder einen Grund, alles hinzuschmeißen. Wahrscheinlich steht sie nächste Woche tränenüberströmt auf meiner Matte und gesteht mir, dass sie Angst hat, das Tonzeug zu zerdeppern, wenn sie gerade mies drauf ist.» Deborah warf die halbgerauchte Zigarette auf den Boden. «Wir können.»
Sie stiegen ein. Während Liz den Wagen in Richtung Benrath steuerte, erzählte Deborah weiter. «Das Problem ist, dass Nadine echt gestört ist. Klar bei dem Leben. Sie ist unberechenbar, unzuverlässig. Ich verabrede mich mit ihr, sie taucht nicht auf. Ich vereinbare etwas mit ihr, sie hält sich nicht dran. Das nervt
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