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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Sander
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antwortete sie. «Es könnte eine Botschaft an Liz sein.»
    «Sagen Sie es», forderte Liz sie auf.
    «Bei der Obduktion wurde etwas in Deborah Arendts Gebärmutter gefunden. Eine Rasierklinge.»

Montag, 4. November, 14:25 Uhr
    Stadler brachte Liz zurück in die sichere Wohnung, während die anderen beiden ins Präsidium vorausfuhren. Auf der Fahrt nach Unterbach kämpfte Liz gegen die Erinnerungen, die sie zu ersticken drohten. Und gegen die Schuldgefühle.
    Schon als sie erfahren hatte, dass ihre Eltern mit einer Rasierklinge angegriffen worden waren, hatte sie immer wieder daran denken müssen. Doch das hätte trotz allem ein Zufall gewesen sein können. Anders die Rasierklinge in Deborahs Körper. Sie war eine Botschaft. Von Hendrik. An seine Schwester Liz.
    «Ich bringe dich hinein», sagte Stadler, als er den Wagen vor dem Wohnkomplex in eine Parklücke steuerte.
    «Nicht nötig.»
    «Und ob. Ich bin für deine Sicherheit verantwortlich.»
    Liz zögerte. Sie musste es Stadler erzählen, doch sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
    Stadler machte ebenfalls keine Anstalten auszusteigen. «Was ist los?», fragte er sanft.
    «Die Rasierklinge», sagte Liz.
    «Das dachte ich mir. Was ist damit?»
    Liz schaute ihn an. Eine tiefe Falte, die ihr bisher nicht aufgefallen war, furchte seine Stirn.
    «Ich weiß, dass Hendrik sich angeblich mit einer Rasierklinge das Leben genommen hat», sagte er. «Aber das ist nicht das, was du mir sagen willst, oder?»
    Liz knetete ihre Finger. «Ich war fast noch ein Kind», flüsterte sie. «Ich wusste nicht, was ich tat.» Es war gelogen, sie hatte genau gewusst, was sie tat. Mehr noch, sie hatte es gewollt. Wiedergutmachung. Sühne. Wie auch immer man es nennen wollte. Sie hatte ihren Teil dazu beitragen wollen, die Familienschuld zu bereinigen – und sie hatte damit die Katastrophe erst möglich gemacht.
    «Was wusstest du nicht?» Stadler griff nach ihrer Hand.
    Liz fragte sich, ob er sie wegziehen würde, wenn sie ihm ihre Geschichte erzählt hatte. «Ich war es.»
    «Du warst was?»
    «Ich habe Hendrik anfangs einige Mal im Gefängnis besucht. Als wir noch in Duisburg wohnten. Meinen Eltern war das gar nicht recht. Sie wollten nicht, dass ich dorthin fuhr, schon gar nicht allein. Aber sie ließen mich gewähren. Sie hatten nicht die Kraft, das Verbot durchzusetzen, dafür waren sie viel zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt. Während meiner Besuche sprachen wir nie über das, was Hendrik getan hatte. Er sagte ohnehin fast nichts. Er ließ mich erzählen. Wie es mir in der Schule ging, von dem bevorstehenden Umzug nach Hannover. Von meinem neuen Familiennamen. Ich vertraute ihm all meine wirren Gedanken und Gefühle an. Und ich hoffte darauf, dass er mir eines Tages seine Version der Ereignisse schildern würde, eine Version, in der er unschuldig war, das Opfer eines Justizirrtums oder zumindest ein Opfer der Umstände. Ich wollte nicht wahrhaben, dass mein geliebter großer Bruder aus freiem Willen und in voller Absicht diese schrecklichen Dinge getan hatte.»
    Stadler hörte schweigend zu. Auch als Liz für einen Moment innehielt, sagte er nichts.
    «Meine Hoffnung wurde nicht erfüllt», fuhr sie fort. «Zumindest nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Eines Tages bat Hendrik mich, ihm eine Rasierklinge ins Gefängnis zu schmuggeln. Für mich war diese Bitte ein Eingeständnis seiner Schuld. Und ich tat, was ich für richtig hielt. Ich versteckte die Rasierklinge in einem Amulett, das unserer Großmutter gehört hatte, hinter einem Babyfoto meiner Mutter. Damals glaubte ich, dass Hendrik sich selbst richten wollte und dass er meine Hilfe dazu brauchte. Es dauerte Jahre, bis ich begriff, dass er andere Wege gefunden hätte, sich das Leben zu nehmen, wenn das seine Absicht gewesen wäre. Er hätte mich nicht mit hineinzuziehen brauchen. Doch genau das wollte er. Er wollte mich als Komplizin, wollte, dass ich mich schuldig fühle. Und zwar für den Rest meines Lebens. Das ist ihm gelungen. Ich fühlte mich immer für seinen Tod verantwortlich. Und seit ich weiß, dass er die Klinge nicht benutzte, um sich selbst zu töten, sondern um seine Flucht zu inszenieren, lastet diese Schuld noch viel schwerer auf mir. All diese Menschen sind gestorben, weil ich meinem Bruder damals eine Waffe besorgt habe.»
    Stadler hatte ihre Hand nicht losgelassen. Im Gegenteil, er hielt sie ganz fest. «Nichts von dem, was geschehen ist, ist deine Schuld, Liz. Hendrik allein hat

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