Schwesterlein, komm stirb mit mir
Vermeeren verbrannt war. Er hatte sich die alten Zeitungsberichte noch einmal vorgenommen. Auch die vom Prozess. Schneider war für den Mord an Hendrik Vermeeren und zwei weiteren Männern verurteilt worden, obwohl es anfangs geheißen hatte, dass Vermeeren sich selbst getötet hatte. Wie Vermeeren genau gestorben war, hatte sich jedoch nicht mehr feststellen lassen. Sicher war nur, dass er definitiv nicht durch das Feuer umgekommen war.
Stadler verfluchte sich, weil er das Thema beim ersten Anlauf so unsensibel angegangen war. Er hatte Liz’ Vertrauen verspielt, sonst würde sie ihm vielleicht erzählen, welchen Verdacht sie hatte. Jedenfalls hatte er die Akten zu dem Fall angefordert, und er hoffte, dass die Kollegen in Bonn ihm nicht allzu viele Steine in den Weg legen würden.
«Nicht mal eine Anschrift von Schneider?», hakte Liz nach.
«Wissen Sie, wie viele Männer es mit dem Namen Jan Schneider gibt?»
Sie nickte. «Ich kann es mir denken, trotzdem muss Ruben etwas herausgefunden haben.»
Stadler nickte. «Aber nicht auf legalem Weg. Die Kollegen haben die Überreste seines Notebooks noch nicht aufgegeben. Wir bleiben dran. Leider sind die Prioritäten im Augenblick andere. Wir haben einfach nicht genug Leute.»
Schritte näherten sich. «Hey, ihr zwei, da seid ihr ja!»
Stadler drehte sich um und erblickte seine Kollegin Birgit Clarenberg, die eine Klarsichthülle schwenkte. «Neuigkeiten?»
«Wir haben vielleicht was.» Sie lächelte, was ihr Gesicht beinahe hübsch wirken ließ.
Stadler durchzuckte der Gedanke, dass eine weniger attraktive Frau vermutlich auch weniger Probleme machen würde. Rasch rief er sich zur Ordnung. «Was ist das?»
«Unsere Frau Doktor hier hat doch vorgeschlagen, dass wir die Bekennerschreiben besonders sorgfältig durchgehen sollen», begann Birgit.
«Unsere Frau Doktor heißt Liz», unterbrach Liz.
«Prima. Liz also.» Wieder lächelte Birgit, diesmal noch ein bisschen herzlicher und in Liz’ Richtung. «Jedenfalls sind wir eben auf das hier gestoßen. Dieser Brief enthält mindestens zwei Details, die nicht an die Presse gegangen sind.» Sie schob Stadler und Liz die Hülle mit dem Schreiben hin.
Beide beugten sich neugierig darüber. Der Text war aus Buchstaben zusammengesetzt, die jemand aus verschiedenen Zeitungen herausgeschnitten hatte. Manchmal hatte er auch ganze Wörter benutzt, was es leichter machen würde, die entsprechenden Ausgaben zu ermitteln.
Stadler überflog den Text.
Hört auf meine Worte! Gott hat Mann und Weib erschaffen, und nur das Weib soll Kinder gebären. Wer in die Schöpfung eingreift, ist des Teufels, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der unvermischt eingeschenkt ist in den Kelch seines Zorns, und er wird gequält werden mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. Ihm sollen die Organe entrissen und das Herz durchbohrt werden. Und die Lippen seiner Nachfahren sollen an den eingetrockneten Brüsten seiner falschen Weiber verdursten. Hört auf meine Worte und seid gewarnt.
«Du meine Güte, was ist das denn?», murmelte Stadler.
«Ein religiöser Eiferer», antwortete Liz.
«Er weiß von den entnommenen Organen und der Puppe», erklärte Birgit. «Auch wenn er das nur indirekt sagt.»
Stadler nickte nachdenklich. «Und er weiß, dass Matzurka transsexuell war, wenn ich das mit dem Eingreifen in die Schöpfung richtig interpretiere.» Er schlug mit der Faust auf den Tisch. «Das passt. Und Sie lagen schon wieder richtig, Liz. Er hat es für uns getan, für sein Publikum. Er will uns etwas mitteilen.»
«Sieht so aus.» Montario schien seine Begeisterung nicht zu teilen.
«Wurde der Brief bereits erkennungsdienstlich behandelt?»
Birgit stand auf. «Den Umschlag habe ich der KTU schon reingereicht, den Brief wollte ich dir vorher zeigen. Ich bringe ihn sofort hoch.»
Als sie fort war, sah Stadler Liz an. «Das könnte der Durchbruch sein. Sie haben echt was drauf. Wollen Sie nicht bei uns anfangen?»
Der Hauch eines Lächelns umspielte ihre Lippen. «Besser nicht.»
Samstag, 26. Oktober, 10:26 Uhr
Zum zweiten Mal in dieser Woche war Liz auf dem Weg nach Wuppertal. Zur Abwechslung schien die Sonne und ließ das bunte Laub entlang der Autobahn leuchten. Ein Anblick, der sie an die Familienausflüge ihrer Kindheit erinnerte: ein Spaziergang im Wald, bei dem Hendrik und sie Taschen voller Kastanien, Steine und Stöcke sammelten, Kaffee und Kuchen in einem Ausflugslokal und abends zu Hause das
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